Islamisten in Afghanistan: Splittergruppen zieht es zum IS

Der IS hat die Provinz Chorasan ausgerufen. Ihr „Gouverneur“ ist Pakistaner. Noch aber sind die Taliban stärker.

Die Fahne des „Islamischen Staates“. Bild: dpa

KABUL taz | Das könnte schon der Anfang vom Ende des Islamischen Staates (IS) in seiner neuesten „Provinz“ Chorasan sein: Am 9. Februar starb Mullah Abdul Rauf Khadem bei einem US-Drohnenangriff in Helmand. Nur wenige Wochen zuvor hatte die IS-Zentrale ihm den Titel „stellvertretender Provinzgouverneur“ verliehen. Der Afghane Khadem war in seiner Heimat bis dahin schon kein Unbekannter gewesen. Er hatte sich einen Namen als Vizemilitärchef der afghanischen Taliban gemacht, bevor er im Januar mit ein paar hundert Kämpfern zum IS überlief.

Chorasan ist eine historische Bezeichnung – für Nord-Afghanistan, Nordost-Iran sowie Teile des früheren Sowjet-Zentralasiens. Der Anspruch auf diese Provinz ist dem IS quasi per Zufall in die Hände gefallen, als im vergangenen Sommer einige obskure Splittergruppen pakistanischer und afghanischer Aufständischer ihm ihre Gefolgschaft erklärten, meist per Internet.

Allerdings ist das Verhältnis zwischen dem Islamischen Staat und den Taliban kompliziert. Das zeigt schon die Tatsache, dass der IS nicht etwa Khadem, sondern einen pakistanischen Talib namens Hafiz Said Khan zum Provinzchef von Chorasan ernannte. Grund: Die Führung des IS traut den viel kampferfahreneren Afghanen weniger als den radikaleren Pakistanern. Die Afghanen sind in der Regel keine Salafisten.

Khadem, Feldkommandant während der Taliban-Herrschaft, war unmittelbar nach deren Fall im Jahr 2001 gefangen genommen und in Guantánamo inhaftiert worden. Dort, so belegen es öffentlich gemachte US-Dokumente, gab er sich geläutert und wurde 2007 nach Afghanistan entlassen. Er ging aber sofort wieder in die Berge und stieg in der Taliban-Hierarchie auf. Sein Stellvertreter, Hadschi Mirwais, erklärte gegenüber der taz, Khadem sei in US-Haft unter dem Einfluss arabischer Mitgefangener zum Salafismus konvertiert.

Beide wollen Chef aller Muslime sein

Nach dem Aufkommen des IS in Irak und Syrien wuchs in der Taliban-Bewegung das Misstrauen Khadem gegenüber, der zunehmend marginalisiert wurde. IS-Chef Baghdadi erhebt den Anspruch, alle Muslime anzuführen. Er trägt als Amir ul-Momenin (Oberhaupt der Gläubigen) denselben Titel wie Taliban-Chef Mullah Muhammad Omar. In mehreren Fällen, in denen örtliche Kommandeure ihren Übertritt zum IS bekannt gaben, handelte die Taiban-Führung schnell und ging militärisch gegen die Abweichler vor. In Khadems Fall halfen indirekt sogar die USA; Beobachter in Kabul sprechen ironisch vom „ersten Pro-Taliban-Drohnenschlag“ der Amerikaner.

Das Auftauchen des Islamischen Staates in Afghanistan hat eine gewisse Hysterie ausgelöst. Die Sicherheitslage ist ohnehin prekär: 2014 haben sich die Kämpfe zwischen Taliban und Regierungstruppen stark intensiviert. Zudem treibt eine Offensive des pakistanischen Militärs in den dortigen Stammesgebieten Kämpfer über die Grenze nach Afghanistan. Darunter sind Pakistaner und Araber ebenso wie Zentralasiaten, von denen viele schwarze Flaggen und Sturmmasken tragen, die IS-Insignien gleichen. Afghanische Armeeführer in einigen Provinzen spielen nun die IS-Gefahr hoch, um zusätzliche Ressourcen zu akquirieren.

Sympathie für den IS gibt es in Afghanistan unter radikalisierten Jugendlichen. Das äußert sich bisher vor allem über die sozialen Medien. Rekrutierungen von Kämpfern aus diesen Kreisen wurden noch nicht bekannt. Aber das kann sich ändern – vor allem, wenn sich die sozial-ökonomische Situation nicht verbessert. Als Folge des westlichen Truppenabzugs sowie sinkender Hilfszahlungen wächst die Arbeitslosigkeit.

Viele Studenten haben schlechte Aussichten, nach ihrem Abschluss einen Job zu finden. Dennoch: Mit dem fest verankerten Monopol der Taliban auf dem Schlachtfeld dürfte der IS es auf geraume Zeit schwer haben, in Afghanistan Fuß zu fassen. Dort bleiben die Taliban das größte Sicherheitsproblem.

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