Italien und Lebensmittelbetrüger: Krieg gegen die Biofälscher

Raffinierte Firmennetze, fragwürdige Transportwege und korrupte Kontrolleure: Professionelle Banden deklarieren herkömmliche Ware in teure Ökoprodukte um.

Heißer Mais: Im April veröffentlichte die italienische Finanzpolizei ein Video zum „Green War“ Screenshot: Guardia di Finanza

ROM/BERLIN taz | Früher, in der angeblich guten alten Zeit, betrog in der Biobranche allenfalls ein einzelner Bauer oder Händler. Hier hat er ein bisschen Pestizide aufs Feld gespritzt; da hat er ein paar konventionelle Billigeier unter die teuren biologischen gemischt. Hat kaum einer gemerkt, fiel mengenmäßig auch nicht ins Gewicht.

Doch über dieses Stadium sind Biobetrüger in Italien längst hinaus. Dort deklarieren neuerdings auch gewerbsmäßig operierende Banden mit Hilfe eines ganzen Netzwerks von Firmen in verschiedenen Ländern riesige Mengen herkömmlicher Ware in Ökoprodukte um. Die organisierte Kriminalität hat die Biobranche erreicht.

Im April schon wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft im italienischen Adriastädtchen Pesaro nicht etwa gegen einen Verdächtigen, sondern gleich gegen 23 mutmaßliche Mitglieder eines Fälscherrings ermittelt. Zwar stammen alle aus Italien, arbeiteten aber unter anderem in der Republik Moldau, auf Malta oder in Westeuropa. Zu den Verdächtigen gehört sogar der moldauische Ableger einer Ökokontrollstelle aus Italien, die ja eigentlich Betrügern auf die Schliche kommen sollte.

Alles Schmu? Nein. Trotz verschiedener Skandale scheint das Risiko immer noch gering zu sein, gefälschte Bioware im Laden zu kaufen. Das zeigt der bisher größte Betrugsfall, der im Dezember 2011 bekannt wurde: In vier Jahren waren rund 500 Tonnen angeblich biozertifiziertes Futtermittel, vor allem Soja, nach Deutschland gekommen – pro Jahr also im Schnitt 125 Tonnen. Das sind nur 0,4 Prozent des Jahresbedarfs an Sojafutter, der auf 32.000 Tonnen geschätzt wird.

Und die Umwelt? Neben den Konsumenten trifft Biobetrug auch die Umwelt. Konventionelle Bauern benutzen Pestizide und Kunstdünger. Das trägt dazu bei, dass etwa die deutsche Landwirtschaft 13 Prozent der Treibhausgase in der Bundesrepublik verursacht. Die Chemikalien gefährden auch viele Tier- und Pflanzenarten. Zudem sind die Tierschutzstandards für konventionelle Ställe besonders niedrig. Die Verordnung der Europäischen Union für die Ökolandwirtschaft dagegen verbietet chemisch-synthetische Substanzen für den Ackerbau und schreibt etwa mehr Platz im Stall vor.

Bio – ein großes Geschäft: Zwar waren laut Branchendachverband BÖLW 2012 nur 3,9 Prozent aller Lebensmittel in Deutschland öko-zertifiziert. Aber selbst das entspricht einem Umsatz von mehr als 7 Milliarden Euro. (jma)

Alle waren den Ermittlern zufolge daran beteiligt, konventionelle Futtermittel aus Moldau und der Ukraine mit falschen Biozertifikaten zu versehen. Um die Wege der Ware zu verschleiern, nutzten sie ein Geflecht aus mindestens zehn Firmen in verschiedenen Ländern. 1.500 Tonnen Mais und 30 Tonnen Soja hat die Staatsanwaltschaft schon beschlagnahmt in dem groß angelegten Verfahren, das sie „Green War“ nennt.

Bei früheren Fällen wurde konventionelle Ware in die EU geschafft und dort umdeklariert. „Jetzt dagegen entsteht das Produkt schon als Bioware etwa in Moldau, wird gleich vor Ort zertifiziert, dann exportiert und weitervermarktet“, sagt Staatsanwältin Silvia Cecchi aus Pesaro der taz. Diese Masche soll es den Behörden noch schwerer machen, den Betrug zu entdecken.

Falschware auch in Deutschland

Für Cecchi ist klar: Auch nach Deutschland fand die gefakte Bioware ihren Weg. Darauf deute eine E-Mail des Landwirtschaftsministeriums in Berlin an das Ministerium in Rom vom 28. November hin. Der Gegenstand: Zwei am 31. Oktober 2012 ausgestellte Zertifikate der Kontrollstelle ICS Biozoo Moldau, die Anomalien aufwiesen.

„Elemente der Fälschung“, so drückt sich die Ermittlerin aus, seien tatsächlich auf diesen Zertifikaten wie auch auf anderen Biozoo-Bescheinigungen von August 2011 bis August 2012 festgestellt worden, auf die Berlin aufmerksam gemacht habe.

Unter Verdacht ist auch die Importfirma Delva auf Malta, aktiv seit 2012. Deren Chef, Stefano Detassis, ist bereits als Mittäter in Biobetrügereien bekannt: Er war an dem bisher wohl größten Bioskandal Europas beteiligt. Im Dezember 2011 flog dieser auf: Der damals entdeckte Fälscherring verwandelte binnen vier Jahren rund 700.000 Tonnen konventionelles Getreide und Soja in lupenreine Bioware.

Ein Teil gelangte auch nach Deutschland. Vor einem Jahr einigte sich Detassis mit der Staatsanwaltschaft Verona auf eine dreimonatige Haftstrafe wegen Fälschung einer Rechnung. Doch die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt und wenig später war Detassis wieder im Biobusiness.

Detassis weist seinerseits im Gespräch mit der taz jeden Verdacht unlauterer Machenschaften zurück. „Bloß zwei Schiffslieferungen von Soja und Mais aus organischem Anbau“ habe Delva im Jahr 2012 über den Hafen Malta abgewickelt, und die maltesischen Behörden, die die Ware genau geprüft hätten, hätten nichts beanstandet.

Es stimme gar nicht, dass gegen die Delva und ihn selbst jetzt im Rahmen von „Green War“ ermittelt werde; seine Firma sei definitiv „draußen“. Ebendies mag Staatsanwältin Cecchi nicht bestätigen. Namen nenne sie nicht, weiterhin aber „spielen Delva und Firmenvertreter der Delva eine Rolle in den Ermittlungen“, formuliert sie zurückhaltend.

„Organisierte Kriminalität“

Große Mengen, internationale Warenflüsse, ein komplexes Firmengeflecht, korrupte Aufsichtsorgane und notorische Profis – darauf trifft der Begriff „organisierte Kriminalität“ zu, wie ihn die Gemeinsame Arbeitsgruppe der deutschen Justiz- und Polizeibehörden 1990 definiert hat. Auch Paolo Carnemolla, Präsident der Dachorganisation Federbio von Bioerzeugern, Verarbeitern und Händlern in Italien, spricht unumwunden von „organisierter Kriminalität“, die da am Werke sei.

Möglich, so Carnemolla, sei deren Wirken, weil auch die Aufsichtsbehörden immer wieder versagten. So habe das Betrugsinspektorat im italienischen Landwirtschaftsministerium bis vor wenigen Monaten einen Leiter gehabt, gegen den jetzt in einer anderen Geschichte wegen Korruption ermittelt werde. Schon das lasse tiefe Zweifel aufkommen, ob da ein entschlossener Fahnder der Kontrollbehörde vorstand.

Schon im Sommer 2012 hatte Federbio sich ans italienische Landwirtschaftsministerium gewandt, um die Beamten auf Merkwürdigkeiten beim Import von nun unter Verdacht geratenen Futtermitteln zu stoßen. „Im Ministerium jedenfalls haben sie sich lange blind gestellt“, sagt Carnemolla.

Auch bei der Aufklärung ist das Ministerium langsam. Die deutsche Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung hat nach eigenen Angaben bis heute keine Mitteilung aus Rom erhalten, ob Deutschland vom aktuellen Fall betroffen ist oder nicht. „Unglaublich“, kommentiert das ein Behördensprecher. Das italienische Ministerium war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Waren auch Staatsbeamte verwickelt?

Immerhin ist bisher nicht der Verdacht aufgekommen, dass das Ministerium in Rom selbst in die Sache verwickelt sei. In Moldau und auf Malta ist das anders. Federbio-Chef Carnemolla findet es sehr auffällig, dass der Import in die EU – und damit die Verzollung und Kontrolle der Ware – über Malta getätigt wurde, wo das Biobusiness kaum präsent ist.

Staatsanwältin Cecchi geht noch weiter: Mit den Behörden in Moldau und auf Malta gebe es keinerlei Zusammenarbeit bei den Ermittlungen, „wir wissen nicht, welchem Gesprächspartner wir vertrauen können, wir fürchten die Verwicklung auch dortiger Staatsbeamter“.

Wie sich die Strukturen der organisierten Kriminalität in Teilen der italienischen Biobranche verfestigen, zeigt die Tatsache, dass der 2011 aufgeflogene Bioskandal ähnliche Merkmale aufweist. Auch hier haben die Fälscher ein raffiniertes Firmennetz gesponnen. Die Menge der gefälschten Waren war so groß, dass sie Lastwagen in einer 507 Kilometer langen Schlange gefüllt hätte. Damals wurden sieben Manager von Import-/Exportfirmen sowie von Kontrollstellen verhaftet. Vier der Beschuldigten einigten sich mit der Staatsanwaltschaft Verona dann auf Haftstrafen von drei Jahren.

Der Delva-Chef Detassis ist nicht der Einzige, der auch heute noch in der Biobranche arbeitet. Davide Scapini wurde 2012 in Verona zu drei Jahren Haft verurteilt, als Mitglied einer kriminellen Vereinigung. Er arbeitet heute unter anderem als Adressenvermittler für den Mannheimer Biorohstoffhändler P. Krücken Organic GmbH. Scapini helfe dabei, Ökolieferanten in der Republik Moldau zu finden, sagt Krücken-Geschäftsführer Martin Köster der taz. „Wir haben drei Bauernadressen von Scapini bekommen.“

Forderung nach Berufsverbot

Dafür erhalte er möglicherweise ein Honorar, wenn das Geschäft in Moldau zustande kommen sollte. Auf die Frage, ob man mit einem Kriminellen wie Scapini noch zusammenarbeiten dürfe, antwortet Köster: „Selbst Uli Hoeneß kann uns noch Adressen liefern.“

Darüber hinaus dürfe Scapini nichts für die P. Krücken Organic GmbH erledigen. „Der Mann berührt bei uns keinen Geschäftsvorfall.“ Branchenkenner wie der Geschäftsführer der Göttinger Kontrollstelle GFRS, Jochen Neuendorff, sind ob solcher Naivität entsetzt. „Wir brauchen Berufsverbote für Leute, die notorisch gegen die Regeln verstoßen haben“, fordert er.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.