Jelineks NSU-Inszenierung in München: Flieh, Fremdling

Johan Simons inszeniert „Das schweigende Mädchen“, den NSU-Text von Elfriede Jelinek, wie ein Jüngstes Gericht. Der Name Zschäpes fällt nicht.

Aufstellung für Jelineks Text „Das schweigende Mädchen“. Bild: dpa

Am Anfang steht ein Schrei nach Sühne: „Einer muss dafür bezahlen, dass da jetzt ein Toter liegt.“ Auf Rache sinnt der Schauspieler Stefan Hunstein wütend im Präludium zu „Das schweigende Mädchen“. Er klagt über die Toten, zehn Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds. Dieser Anfangsmonolog läutet zwei anstrengende Stunden ein, in denen der Regisseur Johan Simons in seiner neuesten Elfriede-Jelinek-Inszenierung unsere absolute Konzentration fordert.

Das titelgebende Mädchen ist Beate Zschäpe. Zwar fällt der Name der letzten Überlebenden des rechtsextremen Terrortrios, der wenige Kilometer von den Kammerspielen entfernt der Prozess gemacht wird, kein einziges Mal. Und doch wollte die österreichische Autorin mit ihrem Stück dem Schweigen der Angeklagten seit 143 Verhandlungstagen begegnen. Sie tat es, wie es so ihre Art ist, mit einem Text, der auf 224 Seiten Empörung schreit.

Viele Theater haben versucht, mit dem Nationalsozialistischen Untergrund umzugehen. So sind einige Motive im Stück bereits in Stücken in Berlin, Frankfurt oder Köln thematisiert worden: die Feindseligkeit gegenüber Migranten („Das Land ist rein, niemand darf mehr rein.“), der Rassismus der Behörden, die Verdächtigung der Opferfamilien, das Versagen der staatlichen Institutionen („Fassungslosigkeitsschutz“) und der lange Schatten des Nationalsozialismus („Da sind zwei Stück Täter auf Rädern zum Endsieg unterwegs.“).

Verfremdung in religiösem Kontext

Aber Jelinek geht einen Schritt weiter und verfremdet das Geschehen in einem religiösen Kontext. So entsteht ein Blickwinkel, aus dem sich versuchsweise anders über die Geschichte nachdenken lässt. Simons inszeniert das wiederum wie eine sakrale Lesung.

So sitzen die sieben Schauspieler auf der düsteren Bühne nebeneinander, als tage hier das Jüngste Gericht. Darüber thront ein Dach mit dem vielsagenden Titel „Erbschaftsamt“. Benny Claessens, Steven Scharf und Wiebke Puls verhüllen ihre Gesichter unter schwarzen Kutten, ein gutes Bild für die Mauer des Schweigens, der die Justiz im Prozess begegnet. Hans Kremer und Annette Paulmann artikulieren sich dagegen in FDJ-artiger Uniform, um an das DDR-Regime zu erinnern, nach dessen Untergang sich Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe radikalisierten.

Immer wieder ist im Stück von „Pogromly“ die Rede, dem Brettspiel, in dem die NSU-Terroristen ihre Menschenverachtung auslebten. Risto Kübar kauert am Rand als magere Jesusfigur. Die Schauspieler sprechen mal als Engel, mal als Prophet, der Text strotzt vor biblischen Referenzen. Von einer Jungfrau, die schwanger wird, ist die Rede: „Deutschland, feiste Mutter, ja, du bringst solche Kinder hervor.“

Thomas Schmauser ist das Zentrum dieser Jury und gibt eine pedantisch-aufbrausende Parodie eines Richters. Seine Aussagen führen die Wahrheitsfindung einer gerichtlichen Instanz in Sachen NSU ad absurdum: „Niemand sagt mir, was ich hören will.“ Das gesprochene Wort wird gelungen untermalt von Carl Oesterhelts Musik: Ein Trio spielt auf Geige, Klavier und Synthesizer mal düster-schräge, mal melodische Klänge.

Ironie statt Betroffenheit

Simons und sein Dramaturg Tobias Staab verkürzen die Schriftvorlage brutal. Manch originelle Schimpftirade fällt dem zum Opfer: „Die Morde sind geklärt in dieser Klärgrube Deutschland.“ Dennoch verstärkt die Inszenierung den kalauernden Tonfall, der in der Vorlage steckt. Fast so, als könne man dem Geschehenen eher mit Ironie als mit Betroffenheit beikommen. Immer wieder lacht das Publikum, besonders bei Claessens slapstickartigen Einlagen.

Und doch, es funktioniert. Vor allem, weil dieser Text durchweg mit sich selbst hadert. Ein gelungenes Mittel, um Jelineks Entsetzen über das Belogenwerden nach den jahrelang publizierten falschen Medienberichten über die Migranten-Morde zu transportieren, die Täuschung über Sprache, sei es vor Gericht oder im Privaten. Kokett entlarvt sich die Autorin selbst als Unwissende: „Sie merken es schon, dass ich nichts weiß und nur so daherrede, eine Spaziergängerin der Sprache.“

Am Ende weicht der Wortwitz und Simons setzt einen fulminanten Schlusspunkt mit dem gebrochenen Monolog von Kübars Jesusfigur, der für uns die Schuld für die Morde schultert. Mit den Worten „So flieh, Fremdling, wenn du uns siehst, wenn du die Jungfrau siehst, wenn du ihre Söhne siehst, flieh, Fremder“, schließt der Abend. Nach all den Kalauern ist das wie eine Warnung vor dem Bösen im Menschen. Trügerisch wäre jegliche Sicherheit, in der wir uns nach dem Prozessende, sei es auf der Bühne oder im Gerichtssaal, wiegen möchten.

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