Journalist zu Armenien-Resolution: „Aktivere Rolle für Deutschland“

Nützt den Armeniern der Beschluss des Bundestages? Der Chefredakteur der armenisch-türkischen Zeitung „Agos“ fordert ein größeres deutsches Engagement.

Foto aus einer Gedenkstätte: In der Mitte brennt ein Feuer, drum herum liegen kreisförmig viele Blumen

Erinnerung an den Genozid: Gedenkstätte in Eriwan Foto: dpa

taz: Herr Danzikyan, was bedeutet die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern durch den deutschen Bundestag für Sie?

Yetvart Danzikyan: Es ist für mich eine etwas schwierige emotionale Situation. Der Gründer und frühere Chefredakteur von Agos, Hrant Dink, der im Januar 2007 ermordet wurde, hat ja die Position vertreten, man solle in der türkischen Öffentlichkeit erst einmal darüber reden, was 1915/16 wirklich passiert ist, bevor man darüber streitet, ob es sich um einen Völkermord handelt oder nicht und die Entscheidung am Ende dieser Debatte fällen und nicht schon zu Beginn.

Und heute?

Mittlerweile sind aber zehn Jahre einer zeitweise sehr intensiv geführten Debatte vergangen und kritisch denkende Intellektuelle in der Türkei sind längst selbst zu dem Schluss gekommen, dass damals ein Völkermord an den Armeniern verübt wurde. Deshalb bin ich persönlich jetzt der Überzeugung, dass es gut ist, wenn auch der Deutsche Bundestag diese Position bekräftigt. Denn ohne äußeren Druck bewegt sich die türkische Regierung ja nicht.

1969 in Istanbul geborener Armenier, gehörte 1995 zu den Gründungsmitgliedern der Wochenzeitung Agos, deren Chefredakteur er seit 2014 ist. Zwischenzeitlich arbeitete der Journalist bei verschiedenen Print- und TV-Medien in der Türkei, darunter auch die Zeitung radikal

Gibt es Stimmen innerhalb der armenischen Gemeinde die nach wie vor sagen, bitte nicht, das schadet uns nur?

Natürlich gibt es immer noch viele eher unpolitische Armenier, die fürchten, durch die ganze Diskussion ins Rampenlicht gezerrt zu werden. Bislang ist aber von einer zunehmenden, neuerlichen Repression gegen Armenier nichts zu spüren.

Kann man denn im Gegenteil davon sprechen, dass die Völkermordresolution des Bundestages für die Arbeit der politisch engagierten Armenier und aller anderen türkischen Bürger, die sich für die Aufarbeitung einsetzen, nützlich ist?

Schließlich würde sich Israel ja auch nicht mit Deutschland an einen Tisch setzen um darüber zu diskutieren, ob der Holocaust stattgefunden hat

Das ist schwer zu sagen, weil man bei unserem Präsidenten Erdogan nie genau weiß, wie er reagieren wird. Zunächst einmal gibt es nun offiziell wütende Proteste, aber die Atmosphäre in der Türkei ändert sich ja immer sehr schnell. Ich bin aber völlig unabhängig davon der Meinung, dass es immer gut ist, die Wahrheit offen auszusprechen.

Sehen sie einen Unterschied darin, ob frühere Kriegsgegner des Osmanischen Reiches wie Frankreich, Großbritannien und Russland Resolutionen zum Völkermord verabschieden, oder der damalige Verbündete Deutschland?

Wenn der damalige Verbündete von Völkermord spricht und auch eine gewisse Mitschuld einräumt, hat das natürlich ein anderes Gewicht, als wenn das der damalige Kriegsgegner tut. Nicht nur symbolisch, sondern auch ganz praktisch. Denn in den deutschen Akten finden sich ja die Beweise für den Völkermord. Deutschland kann das ja mit viel größerem historischen Gewicht darlegen, als Frankreich oder England. Deutschland hätte das viel früher tun müssen.

Können die Deutschen denn noch etwas tun, um den Prozess der Wahrheitsfindung in der Türkei zu unterstützen?

Je mehr die deutschen Archive durchgearbeitet werden, je mehr daraus publiziert wird, umso schwieriger wird es für die türkische Regierung, ihre Position der Leugnung des Genozids durchzuhalten.

Die Türkei bietet Armenien ja immer wieder an, in einer gemeinsamen Historikerkommission über die damaligen Ereignisse zu forschen. Wäre es sinnvoll, wenn die Bundesregierung sich da mit dem deutschen Aktenbestand einbringen würde?

Armenien lehnt eine solche Kommission mit dem Argument ab, über den Völkermord als solchen gibt es nichts mehr zu besprechen. Schließlich würde sich Israel ja auch nicht mit Deutschland an einen Tisch setzen, um darüber zu diskutieren, ob der Holocaust stattgefunden hat. Aber wenn es unterhalb dieser grundsätzlichen Ebene einmal zu Gesprächen zwischen der Türkei und Armenien kommt, wäre es natürlich sehr wünschenswert, wenn Deutschland sich dabei einbringt.

Glauben Sie, dass die Bundesregierung dazu beitragen könnte, die Blockade zwischen der Türkei und Armenien zu beenden?

Ich denke, Deutschland könnte schon eine aktivere Rolle spielen. Wenn Bundeskanzlerin Merkel Zeit hat, wegen der Flüchtlingspolitik in wenigen Monaten fünf Mal in die Türkei zu kommen, könnte sie bei entsprechendem politischen Willen sicher dazu beitragen, eine internationale Vermittlungsmission zwischen Armenien und der Türkei zu starten. Ob das etwas nützt, müsste man dann sehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.