Journalistin über gefälschte Nachrichten: „Die meisten Leute sind naiv“

Die ukrainische Website Stopfake.org entlarvt Propaganda. Chefredakteurin Tetiana Matychak über die schwierige Suche nach der Wahrheit.

Wladimir Putin ist in einem Fernseher zu sehen.

Kontrolle ist besser: Russische TV-Sender werden auch in der Ukraine empfangen. Foto: reuters

taz: Frau Matychak, die Berichterstattung über den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland ist von unterschiedlichen Interessen vergiftet. Wie kommt Stopfake an die Wahrheit?

Tetiana Matychak: Manchmal können auch wir die Wahrheit nicht finden. Wir verlassen uns nicht auf Meinungen oder Augenzeugen, sondern sammeln Fakten, Videos, Fotos, Statistiken. Wenn wir nicht genügend Fakten haben, können wir einen Fake nicht aufdecken und müssen davon ablassen. Wir können leider nur eine kleine Prozentzahl aufdecken.

Wie genau decken Sie gefälschte Nachrichten auf?

Wir kennen einige Webseiten, die regelmäßig Fakes veröffentlichen. Die meisten davon gehören dem russischen Staat. Außerdem beobachten wir das russische Staatsfernsehen, zum Beispiel Russia Today oder TV Svesda, das ist der Sender des russischen Verteidigungsministeriums. Wir beobachten natürlich auch ukrainische Medien, die Webseiten der Separatisten. Wir prüfen die Nachrichten in diesen Medien jeden Tag. Meistens stimmen sie, aber manchmal entdecken wir etwas. Wir vergleichen Bilder eines Ereignisses, suchen nach Spuren von Photoshop, arbeiten mit Google Maps, mit Wetterdaten. Meistens hilft einfach logisches Denken. Nachrichten über die Ukraine in russischen Medien sind manchmal auch wirklich lustig. Andererseits gibt es auch Geschichten, die uns merkwürdig vorkommen und am Ende leider wahr sind.

Was war Ihr größter Erfolg?

Wir hatten viele kleine Erfolge. Der größte und bemerkenswerteste war das gefälschte Foto von einem ukrainischen Flugzeug, das das malaysische Flugzeug auf Flug MH17 abgeschossen haben soll. Der russische Staatssender Perwy Kanal (Erster Kanal) brachte es in Umlauf. Wir haben das Foto analysiert und herausgefunden, dass es eine blanke Lüge war. Wir haben Bilder verglichen und bewiesen, dass das Bild des Fernsehsenders gephotoshopt war. Ungefähr zur gleichen Zeit haben auch das deutsche Recherchebüro Correctiv und das britische Netzwerk Bellingcat Satellitenbilder verglichen. Sie kamen zum gleichen Ergebnis. Dieser Fund wurde von vielen anderen Webseiten aufgenommen, europäische und russische Medien erwähnten Stopfake.

Wie schafft es Stopfake, unabhängig zu bleiben?

Wir nehmen keine Gelder von Regierungen an. Weder von der Ukraine noch von der EU. Wir finanzieren uns über Spenden und seit 2015 auch über zwei Stiftungen. Außerdem sind wir Profis und versuchen, objektiv zu bleiben.

33, ist Mitgründerin und Chefredakteurin von Stopfake. Seit März 2014 arbeitet ein Team aus 15 Redakteuren und freien Mitarbeitern ehrenamtlich daran, gefälschte Nachrichten über die Ukraine aufzudecken. Die Website hat nach eigenen Angaben etwa 500.000 Aufrufe im Monat.

Geht das immer? Würden nicht auch Journalisten in dieser angespannten Situation gern eine Position einnehmen und für etwas kämpfen?

Wenn ein Journalist anfängt, für etwas zu kämpfen, hört er auf, ein Journalist zu sein. Journalisten müssen objektiv sein. Manche sind für die Ukraine in den Krieg gezogen, kämpfen im Donbass – das sind keine Journalisten mehr. Manchmal haben wir in der Redaktion auch Diskussionen. Jemand sagt: „Lasst uns diesen Fake nicht aufdecken, er nützt der Ukraine“. Aber wir machen es natürlich trotzdem. Alles andere würde uns unglaubwürdig machen.

Sind ukrainische Journalisten objektiver als russische?

Ja, weil die meisten unserer Medien nicht vom Staat kontrolliert werden wie in Russland. Ukrainische Journalisten haben weniger Angst, für die Wahrheit bestraft zu werden. Man findet immer ein Medium, für das man seriös berichten kann. In der Ukraine haben wir ein anderes Problem: Die Journalisten sind oftmals schlecht ausgebildet oder zu faul und machen Fehler. Zum Beispiel nehmen sie soziale Medien als Quelle. Es gibt in der Ukraine keine Propaganda.

Aber auch die ukrainische Regierung kommuniziert ihre Interessen über die Medien.

Ja, aber es ist anders als in Russland. In der Ukraine gehören nur ein Fernsehsender und zwei Zeitungen dem Staat. Die restlichen Medien gehören Oligarchen. Die haben zwar ihre persönlichen Interessen, wollen ihre Geschäfte schützen, aber sie kooperieren nicht unbedingt mit der Regierung. So gibt es immerhin vielfältige Informationen. Natürlich gibt es die auch in Russland. Wir arbeiten mit den seriösen russischen Medien wie TV Doschd, Meduza und der Nowaya Gazeta zusammen.

Wie funktioniert Ihrer Meinung nach russische Propaganda?

Die russische Regierung versucht, nicht eine, sondern viele unterschiedliche Botschaften zu senden. So kommt es zu unzähligen Versionen einer Geschichte. In der Sowjetunion gab es immer nur eine Wahrheit. Heute gibt es viele. So war es auch beim Absturz des Flugzeugs der Malaysia Airlines: Zuerst sollte das Flugzeug von selbst abgestürzt sein, dann hieß es in den russischen Medien, es sei von der Ukraine angegriffen worden oder von den Amerikanern. Die Leser oder Zuschauer können nichts glauben, weil sich die vorherigen Informationen immer wieder als falsch herausstellen. Das Ziel ist, zu signalisieren: Es gibt keine Wahrheit, alles ist möglich.

Aber lassen sich Menschen so lenken?

In diese Verwirrung werden alte Botschaften aus Sowjetzeiten gemischt: Der Westen ist schlecht, es ist besser, arm in Russland zu leben als mit westlichen Werten. Putins größte Angst sind Demonstrationen, ein russischer Maidan. Er will die Russen verwirren und die Ukraine destabilisieren. Die russische Bevölkerung soll sehen: Eine Revolution kann nicht erfolgreich sein.

Stopfake kämpft gegen einen mächtigen Gegner. Was glauben Sie, wie viel Sie wirklich ändern?

Wir haben kein großes Budget und können nicht auf Augenhöhe mit großen Fernsehsendern kämpfen. Aber wir können ein Vorbild für andere Journalisten sein. Viele ukrainische Journalisten haben angefangen, das Gleiche zu tun wie wir. Wir bringen unseren Journalisten also bei, wie man Fakten checkt, Informationen verifiziert.

Glauben Sie, Russen und Ukrainer sind naiv im Umgang mit den Medien?

Die meisten Russen und Ukrainer glauben, alles, was im Fernsehen kommt, sei wahr. Sie sind sehr naiv. In der Ukraine haben die Leute wenigstens unterschiedliche Fernsehsender, sie können Informationen analysieren und vergleichen. In Russland gibt es immer nur eine Meinung. Aber auch 10 bis 15 Prozent der Ukrainer schauen russische Nachrichten und glauben ihnen.

Nun sind einige russischen Sender in der Ukraine verboten.

Weil sie als Propaganda angesehen werden. Ich finde das richtig. Es ist Krieg. Wenn kein Krieg wäre, würde die Ukraine die Fernsehsender niemals verbieten. Die Regierung musste das tun.

Sind die Medien schuld an der Eskalation?

Ja, ganz klar. Sie haben die Situation in der Ostukraine angeheizt. Dafür gibt es viele Beispiele: Russische Medien haben verbreitet, dass die neue Regierung in Kiew nicht rechtmäßig gewählt worden sei und eigentlich keine Legitimation habe. Sie haben behauptet, dass Rechtsradikale an der Macht seien. Viele hatten Angst, dass sie verfolgt würden, weil sie Russisch sprechen. Das sind Lügen. Die Menschen haben Angst bekommen und deshalb die Separatisten unterstützt. Die Leute in der Ostukraine wollen eigentlich nur ein besseres Leben. Die russische Propaganda nutzt diesen Wunsch aus.

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