Juristin über polizeilichen Hanf-Anbau: "Wie in Minority Report"

Die Hamburger Polizei baut Cannabis an, um Erträge zu prognostizieren, die in eine Verurteilung eingehen könnten. Die Bremer Juristin Nicole Krumdiek hält das für mehr als fragwürdig.

Stoff zum Träumen: In den Blättern und Blüten der weiblichen Hanfpflanze steckt das Rauschmittel THC. Bild: dpa

taz: Frau Krumdiek, die Hamburger Polizei baut Cannabis an, um den Ertrag des Rauschmittels THC bei ausgehobenen Plantagen besser schätzen zu können. Dürfen die das?

Nicole Krumdiek: Grundsätzlich ja. Das Betäubungsmittelgesetz verbietet den Umgang mit Cannabisprodukten, es sei denn man hat eine Erlaubnis. Es gibt aber Ausnahmen für Bundes- und Landesbehörden, sofern sie im Bereich ihrer dienstlichen Tätigkeiten mit illegalen Substanzen umgehen. Dazu gehören insbesondere Strafverfolgungsbehörden.

Was treibt die Polizei dazu, solche Experimente zu machen?

Aufgrund der Strafbarkeit gibt es einen Verfolgungszwang. Nach dem THC-Gehalt von Cannabispflanzen bemisst sich die Strafhöhe. Wird eine Plantage ausgehoben, will die Polizei wissen, wie viel THC sich damit erwirtschaften lässt. Wenn es sich um ausgereifte Pflanzen handelt, ist das unproblematisch, dann werden die Pflanzen kriminaltechnisch untersucht und die THC Menge ermittelt. In den Fällen allerdings, wo die Pflanzen noch vor der Erntereife stehen, wird im Prozess geguckt: Was hätte denn hieraus entstehen können?

Wie aussagekräftig sind die Experimente der Polizei?

Der Ertrag hängt von so vielen Variablen ab, dass es schwierig ist, aus einem Projekt Schlussfolgerungen zu ziehen, die für einen Prozess ausreichen. Auch wenn die Polizei Hamburg unterschiedliche Bedingungen simuliert, lässt sich daran nicht festmachen, wie die betreffende Person angebaut hätte: ob etwa die Pflanzen wegen Überhitzung eingegangen wären. Diese Schätzungen sind mit oder ohne Experiment rechtlich mehr als fragwürdig.

36, hat über die Grundlagen der Cannabis-Prohibition promoviert. Jetzt habilitiert sie sich in internationalem Betäubungsmittelstrafrecht.

Gibt es wissenschaftliche Studien, auf denen so eine Schätzung eher fußen könnte?

Studien gibt es in Deutschland nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass in den Niederlanden entsprechende Dokumentationen darüber bestehen. Woran sich die Gutachter in den Prozessen darüber hinaus halten, sind die Aufzeichnungen der Landeskriminalämter. Darin wird das Material von Indoor-Plantagen betrachtet: Wo liegt der THC-Mittelwert? Und das legen sie dann als Minimum zugrunde. Aber das ist nur eine unterstellte Strafbarkeit. Das bedeutet ja nicht, dass tatsächlich so viel THC produziert worden wäre, so dass es auch rechtlich sehr schwierig ist, jemandem zu unterstellen, er hätte dies oder jenes getan. Gerade so als würden Sie jemanden, der sich eine Waffe kauft und sich vorher mit seiner Frau gestritten hat, verhaften mit dem Argument: "Sieben von zehn Männern in dieser Situation erschießen ihre Frau, also gehen wir davon aus, dass Du Deine Frau erschießt." Das wäre ja wie in dem Film "Minority Report", wo Verbrechen vorausgeahnt und präventiv verfolgt werden.

Im Gesetz steht, der Anbau sei verboten. Reicht es nicht festzustellen, dass jemand Pflanzen hat, um eine Strafverfolgung zu rechtfertigen?

Der Anbau ist in dem Moment verwirklicht, wenn die Samen in die Töpfe gesteckt werden. Die Frage, ob Anbau oder nicht, ist nicht relevant. Es gibt im Betäubungsmittelgesetz Abstufungen: Der Umgang mit einer geringen Menge kann mit einer Geldstrafe belegt werden, dann gibt es eine normale Menge und schließlich die nicht geringe Menge ab 7,5 Gramm THC. Ab dann liegt ein Verbrechen vor, das mit mindestens einem Jahr Freiheitsentzug bestraft wird.

Wenn die Frage, ob die geringe Menge überschritten wird, nur auf Prognosen beruht - warum wird dann nicht dagegen geklagt?

Die Verteidiger in einem Prozess überlegen sich sehr gut die Erfolgschancen einer Revision oder einer Verfassungsklage. Nur weil etwas in der Rechtstheorie eindeutig zu der einen oder anderen Seite ausschlägt, bedeutet das nicht, dass die Gerichte das in der Praxis auch so sehen. Da diese Verfahren sehr kostspielig sind, entscheidet man sich häufig gegen ein weiteres Vorgehen.

Viele halten den Cannabis-Konsum für unschädlich. Warum wird er nicht legalisiert?

Ein Aufhänger des Cannabis-Verbotes sind steigende THC-Gehalte und das Problem, diese zu kontrollieren. Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht: Die Unkontrollierbarkeit der THC-Werte kann nicht als Begründung des Verbots herhalten, weil sie die Folge des Verbots ist. Nur weil wir das Verbot haben, können wir die THC-Werte nicht kontrollieren.

Wie das?

Mit Einrichtungen wie den Coffeeshops in den Niederlanden oder dem Cannabis Social Club in Spanien könnte der Konsum staatlich reglementiert und der Cannabis-Anbau in bestimmtem Umfang entkriminalisiert werden. Das gälte aber nur für Pflanzen, in denen nachweislich ein gewisser THC-Gehalt nicht überstiegen werden kann. Ein Schwarzmarkthändler dagegen ist natürlich daran interessiert, möglichst hohe THC-Gehalte zu erzielen, um Profit zu machen. Hätten wir ein Regularium, das den Anbau erlaubt, hätten wir auch die Kontrolle über den THC-Gehalt. Im Übrigen ist der THC-Gehalt von Marihuana auf dem Markt seit 1997 mit acht bis elf Prozent stabil und bei Haschisch mit acht bis zehn Prozent sogar gesunken.

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