Justin Bieber in Berlin: Die Angst vorm Stimmbruch

Wahrscheinlich macht „Being Justin Bieber“ schlichtweg weniger Spaß, als man denkt. Ein Konzertbesuch zwischen lauter kreischenden Fans.

Das Flügeldesign ist fast schon Steampunk, der Sänger nicht so sehr. Bild: ap

BERLIN taz | Kicher! In der großen Entourage von Justin Bieber muss es jemanden geben, der den alten Schlafanzughosen-Zunähen-Jugendherbergswitz kennt: Sämtliche Bühnenhosenbeine des kanadischen Teentraums sind zwischen Knien und Schritt zusammengenäht. Wie soll man damit nur anständig tanzen? Wenn einem ständig eine Windel zwischen den Schenkeln herumpendelt?! Armer Justin. Armer, armer Justin.

Oder vielleicht steht er auch drauf, wer weiß das schon: Er ist nicht zu fassen, der 19jährige Sänger und Musiker, noch immer nicht. In dem vor zwei Jahren entstandenen Konzertfilm „Never say never“ wirkte er bereits seltsam abwesend, was vor allem an fehlenden O-Tönen, fehlender Interaktion mit den Filmemachern und anscheinend fehlender - oder noch nicht entwickelter - Persönlichkeit lag.

Beim Livekonzert am Ostersonntag in der O2-World, vor Tausenden Fan-Mädchen, ihren Erziehungsberechtigten und den vereinzelten Jungen, die auch Justin Bieber werden wollen, wenn sie groß bzw. größer sind, war das ähnlich: Bieber, der ein begabter Schlagzeuger und ein guter Sänger ist, der trotz der zugenähten Windelhose brav mit den anderen TänzerInnen in typischen Boygroup-Choreos tanzt und dabei irre, schlaksige Robo-Moves macht, wirkt immer so, als wolle er weg. Oder sei ohnehin gar nicht wirklich da.

Oft dreht er dem Publikum seinen schmalen Rücken zu, so wie der erste Beatles-Bassist Stu Sutcliffe damals, der sich für seine schlechten Basskenntnisse schämte. Aber Justin muss sich nicht schämen, er kann ja alles, was es braucht, damit die Mädchen (wie bei den Beatles) kreischen: Wenn er seinen verlorenen Blick über das verliebte Heer schweifen lässt, und mal kurz sein weißes Unterhemd lüftet, um sich für eine Ballade den Sicherheitsgurt von der Schwenkkrangondel anzulegen, ploppen einem wegen des plötzlichen dB-Anstiegs die Ohrstöpsel raus.

Die pubertäre Sehnsucht in der Mehrzweckhalle

Wenn er „Believe“ oder „Beauty and the Beat“ oder „As long as you love me“ vom neuen Album singt, kann er an jeder beliebigen Stelle pausieren und die neonleuchtröhrenschwenkenden Fans den Job machen lassen. Und wenn beim berühmten Show-Höhepunkt, der Stelle mit dem Mädchen aus dem Publikum, das sich für „One less lonely girl“ auf einem Thron niederlässt, einen Kornblumenkranz aufgesetzt bekommt und von Justin GANZ NAH angesungen wird, das aufgelöste Gesicht der Glücklichen groß auf der Leinwand zu sehen ist, kann man die pubertäre Sehnsucht in der Mehrzweckhalle geradezu greifen, sich eine Scheibe davon abschneiden, und für romantische Erinnerungsabende mit nach Hause nehmen.

Also was ist los mit Justin? Ist es, weil sein blöder Affe am deutschen Zoll festgehalten wurde? Ist es wegen der angeblichen Spuckattacke gegen Paparazzi? Hat es was mit der Schmutzkampagne der Bild-Zeitung zu tun, die ihn andauernd mit Michael Jackson vergleicht, und düstere „Das wird böse enden“-Prophezeiungen druckt? (Wieso liest er das denn überhaupt?)

Hat er Panik, dass er doch noch in den Stimmbruch und damit aus seiner Poptonlage rutscht? Oder ist es, weil er vor lauter Windelhosentanztraining seit Jahren nicht dazu kommt, das zu tun, was andere in seinem Alter längst taten: Sich entjungfern lassen, in öffentlichen Bars zuviel trinken, Hobbys entwickeln, Nintendo daddeln. Da muss doch die Laune ins Bodenlose fallen. Und mit Selena Gomez ist auch noch Schluß.

Fragen, die nach Minderwertigkeitskomplex duften

Beim Konzert versteckt Justin seine Basisbotschaft, das ausgelutschte „Du schaffst alles was Du willst“-Geseiere größtenteils in einem Einspielerfilm, in dem er tatsächlich mal in die Kamera und dem Betrachter damit in die Augen schaut, und erzählt, was er seinen Fans verdankt. Ansonsten besteht der Kontakt mit dem Publikum aus Fragen, die nach Minderwertigkeitskomplex duften: „Wer von Euch hat mich schon vor zwei Jahren gesehen?“ „Wer von Euch hat eine Platte von mir?“ „Wer von Euch hat mich schon mal Gitarre spielen gehört?“. Vielleicht schafft es Selbstironie ja irgendwann mal auf die Stoffliste von Biebers Privatlehrer. Und dann fragt er: „Genug von mir, jetzt zu Euch: Wie findet Ihr meine Windelhose?“

Wahrscheinlich macht „Being Justin Bieber“ schlichtweg weniger Spaß, als man denkt. Viel zu früh ein, und auch noch der erste youtube-Hit geworden zu sein, eine alleinerziehende Eislaufmutti nicht enttäuschen zu wollen, Disney-Schauspielerinnen daten zu müssen, nie in einen Club gehen zu können, ohne dass er vorher abgesperrt wird.

Das Ding mit der Einsamkeit an der Spitze, das nur begrenzt Mitleid evoziert, denn der Mann ist schließlich knapp erwachsen. Trotzdem: In den millionenfach angeklickten youtube-Filmchen, die auch bei seiner Liveshow fast alle Umziehpausen versüßen, wirkt er wie ein glückliches, musikalisches, offenes Kind. Pubertät, das wurde am Sonntag klar, steht ihm weniger.

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