Justizskandal in Argentinien: „Autoritär, elitär, machistisch“

Ein Kind wurde mehrfach misshandelt, ein Täter bekommt ein geringeres Strafmaß: Ein Berufungsurteil in Argentinien löst Entsetzen aus.

Auch dass der Junge schwul sein könnte, führte der Richter als „strafmildernd“ an: Regenbogenfahne. Bild: dpa

BUENOS AIRES taz | In Argentinien sorgt ein Berufungsurteil für heftige Empörung. Das Kassationsgericht der Provinz Buenos Aires hat das Strafmaß für einen wegen sexuellen Missbrauchs eines sechsjährigen Jungen verurteilten Mann von sechs auf drei Jahre und sechs Monate Haft reduziert.

Der inzwischen elfjährige Junge lebt heute bei seiner Patentante. Diese, selbst Mutter dreier Kinder, streitet mit den Behörden um seine Adoption. Vor allem die Begründung der beiden Richter sorgte für Entsetzen. Richter Horacio Piombo erklärte, der strafverschärfende Tatbestand einer „schweren Persönlichkeitsverletzung“ des Opfers sei in diesem Fall nicht gegeben, da der Junge bereits zuvor mehrfach von seinem Vater misshandelt wurde. Zudem sei der Junge homosexuell veranlagt und „an Situationen des Transvestismus gewöhnt“, da er von seinem Vater wiederholt gezwungen wurde, Mädchenkleidung zu tragen. Die Staatsanwaltschaft legte umgehend Berufung ein.

Der Vater des Jungen wurde wegen Misshandlung seines Sohnes in einem anderen Verfahren verurteilt. Ob es zu sexuellen Missbrauch bereits durch den Vater kam, blieb jedoch offen. Die Staatsanwalt hatte den Vater nicht des sexuellen Missbrauchs angeklagt.

Dennoch gereicht die Tatsache, dass die väterliche Misshandlung das Verhalten den Jungen völlig veränderten, dem späteren Peiniger zum Vorteil. Letzterer war 2011 des „sexuellen Missbrauchs mit Beischlaf“ für schuldig befunden und zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Der Leiter eines Fußballclubs nahe der Hauptstadt hatte den dort fußballspielenden Jungen in der Umkleidekabine vergewaltigt.

Krude Begründung des Strafmaßes

„Die Argumente sind zusammengeschustert, autoritär, elitär, machistisch, und alles was man noch schlechtes über diese Urteil sagen kann,“ so Marisa Graham, Unterstaatssekretärin für Kinder- und Jugendrechte. Die Richter seien komplett auf dem Holzweg und die Auslegung der entsprechenden Paragraphen verlange das genaue Gegenteil. Gerade die Tatsache, dass das Kind zuvor schon missbraucht wurde, müsste als strafverschärfend gelten.

Die Vereinigung der Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen (FALGBT) forderte ein Disziplinarverfahren gegen die Richter. „Zu versuchen, die mutmaßliche sexuelle Orientierung eines Kindes als Ausrede für eines der abscheulichsten Verbrechens zu benutzen, kann nur als Begünstigung des Täters gelten,“ so der FALGBT-Vorsitzende Esteban Paulón.

Es ist nicht das erste Mal, dass Richter Horacio Piombo und sein Amtskollege Ramón Sal Llagués mit eine kruden Begründung das Strafmaß eines verurteilten Vergewaltigers senkten. Anfang des Jahrzehnts reduzierten sie die Strafe eines wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen verurteilten evangelikalen Predigers von 18 Jahren auf neun Jahre und sechs Monate.

Begründung damals: Die Opfer „leben in Gemeinschaften, in denen Beziehungen zu sehr niedrigen Altersstufen akzeptiert sind.“ Ein damals bereits angestrengtes Disziplinarverfahren verlief im Sande.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.