Kampf gegen Kündigung: Jugendclub macht mobil

In Neukölln soll ein Jugendtreff geschlossen werden. Jugendliche und Anwohner reagieren empört und wollen für den Erhalt kämpfen.

Ein buntes Graffiti an einer Wand

Auch das Sprühen von Graffiti konnte man im „Sunshine Inn“ lernen Foto: William Minke

Noch vor einem halben Jahr schien die Welt rund um den Neuköllner Jugendtreff „Sunshine Inn“ in Ordnung. Anfang Mai feierten die Bewohner der Weißen Siedlung unweit der A100-Baustelle das zehnjährige Jubiläum der sozialen Einrichtung in ihrem Kiez. Auch einige Politiker waren damals gekommen, der grüne Bezirksstadtrat Jochen Biedermann hielt eine Laudatio.

Die Weiße Siedlung, zwischen Sonnenallee und Dieselstraße gelegen, ist eine dieser typisch westdeutschen Plattenbauten, die in den 1970er Jahren entstanden. 4.000 Menschen, mehr als zwei Drittel der Bewohner, haben einen Migrationshintergrund, 27 Prozent sind unter 18 Jahren alt, leben in den Hochhäusern. Trist wirken die weißen Gebäuderiesen in der Stadtsilhouette, manch einer nennt die Gegend „Brennpunkt“.

Um Öffentlichkeit herzustellen, rufen jugendliche Besucher des „Sunshine Inn“ und Bewohner der Weißen Siedlung für heute 15 Uhr zu einer Demonstration auf. Getroffen wird sich vor dem Jugendclub: Sonnenallee 273.

Seit zehn Jahren ist der Club Zentrum der Jugendsozialarbeit in der Hochhaussiedlung: Neben Freizeitangeboten wird hier Beratung bei Problemen mit Eltern, Polizei, Schule oder Jobcenter angeboten. Manche machen hier eine Ausbildung zum Gruppenleiter und werden ehrenamtlich aktiv. (pio)

Am vergangenen Freitagabend, weht der Novemberwind scharf um die Häuser. Niemandem im Jugendclub ist mehr nach Feiern zumute. Am Fußgängerweg vor dem Club fangen zwei Jungs mit Klemmbrett unterm Arm die Vorbeigehenden ab. „Die wollen uns den Club hier dichtmachen“, sagen Serdin und Yusef. Dagegen sammeln die Teenager Unterschriften. Auf dem Boden liegen frisch gemalte Plakate. „Outreach muss bleiben! Nein zur Schließung!“ steht darauf.

„Outreach“, so heißt der Träger des „Sunshine Inn“: Die durch öffentliche Mittel finanzierte gemeinnützige Gesellschaft bietet mobile, soziale Jugendarbeit an, unterhält 28 Jugendeinrichtungen in der ganzen Stadt.

Im „Sunshine Inn“ können die Jugendlichen aus dem Viertel Hilfe bei Hausaufgaben erhalten, kickern, im Internet surfen oder einfach beisammensitzen und Musik hören. Einmal in der Woche wird gemeinsam mit den Betreuern in der kleinen Küche gekocht.

Kündigung ohne Grund zum Jahresende

Doch mit alldem soll bald Schluss sein: Ohne Nennung von Gründen wurde dem Jugendclub seitens des Vermieters zum Jahresende gekündigt.

Wie so häufig im Berliner Immobilien-Labyrinth sind die Strukturen des Unternehmens verschachtelt. Eigentümer des Hauses, in dem sich der Jugendclub befindet, ist die „Brandenburg Properties 10 B.V.“, ein in Amsterdam registrierter Immobilienfonds. Deren Haus- und Grundstücksverwaltung ist telefonisch jedoch nicht zu erreichen.

„Shore Capital“, eine britische Investmentbank, die beratend für „Brandenburg Properties“ auftritt, weist in einer Mail, die der taz vorliegt, darauf hin, dass die Räume des „Sunshine Inn“ bisher nur für eine Nebenkostenpauschale zur Verfügung gestellt wurden. Nun wolle der Eigentümer sie „anderweitig nutzen“, heißt es auf Anfrage.

Beim Krisentreffen am vergangenen Freitag sind viele Anwohner über die drohende Schließung des Jugendclubs erschüttert. Sie erzählen, dass auch der benachbarte Familientreff „Sonnenblick“ von der Kündigung betroffen ist. Beide Einrichtungen seien nicht bloß Anlaufpunkte für Jugendliche gewesen, vielmehr Treffpunkte, zu denen jeder habe kommen können.

Hiobsbotschaft an die Jugendlichen

Hamza El-Khalaf, Sozialarbeiter im „Sunshine Inn“, erzählt, wie er und die drei anderen Sozialarbeiter die jugendlichen Stammgäste am Vortag zusammengerufen hätten, um ihnen die Hiobsbotschaft von der drohenden Schließung zu überbringen. Mehr als 40 Jugendliche hätten sich in den kleinen Aufenthaltsraum gequetscht, viele reagierten geschockt.

Keine vierundzwanzig Stunden später scheint der Schock überwunden, „Die wissen gar nicht, mit wem sie sich angelegt haben“, sagt El-Khalaf, er klingt jetzt kämpferisch. „Wir werden jetzt alle Hebel in Bewegung setzen.“ Innerhalb eines Tages haben Jugendliche und Bewohner rund um den Jugendclub mehr als 500 Unterschriften für dessen Erhalt gesammelt. Ein Blick auf die Liste der Unterzeichner verrät: Egal, ob Jahrgang 1942 oder 2009, viele Anwohner halten nichts von den Plänen des Immobilienunternehmens.

Eine Rentnerin ist erbost: „Was sollen die Kids denn sonst machen? Im Winter auf der Parkbank rumlungern?“Sie habe bereits morgens unterschrieben, sagt sie.

Von der Kündigung, so sagt Hamza El-Khalaf, wussten die Betreiber des „Sunshine Inn“ schon länger. Fieberhaft habe man versucht eine Lösung zu finden, auch das Quartiersmanagement und Lokalpolitiker hätten sich eingeschaltet. Erst als eine Möglichkeit, den Mietvertrag übergangsweise zu verlängern, aussichtslos erschien, habe man den Jugendlichen Bescheid sagen wollen.

Bedeutsam für Viertel und Lebensläufe

Paradox scheint da: Noch vor wenigen Monaten wurden die Räume des „Sunshine Inn“ aufwendig und mithilfe der Jugendlichen renoviert. Für knapp 35.000 Euro, Steuergeld, wie El-Khalaf betont, sei die Holzdecke, unter der Schimmel zum Vorschein kam, komplett herausgenommen, neu verputzt und gestrichen worden. Aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar: Geschah dies doch mit ausdrücklicher Genehmigung des Eigentümers, der dem Club kurz darauf die Kündigung einreichte.

Später am Abend sitzen fünf junge Männer im gemütlichen Aufenthaltsraum des Jugendclubs. Sie erzählen von der Bedeutung des Ortes für das Viertel – und auch für ihren Werdegang. Zehn Jahre ihres Lebens, so sagen sie, haben sie selbst hier verbracht. Durch den Club hätten sie es geschafft, ihrem Leben eine bessere Richtung zu geben. „Auch ich würde noch Drogen nehmen“, sagt einer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Ich konnte damit aufhören, eben auch, weil es diesen Ort hier gab.“

Marki, ein 23-Jähriger mit Basecap und Bomberjacke, prognostiziert düster: „Ich weiß ganz genau: Wenn das hier zumacht, werden sich die Jugendlichen in schlechtere Kreise begeben. Dann kommen die auf miese Gedanken.“ Viele der jetzigen Besucher seien an demselben Punkt, wie die Männer es vor einigen Jahren waren. Deshalb wollen auch sie sich engagieren: für den Erhalt ihres ehemaligen Clubs und für die Jugendlichen.

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