Katalanische Unabhängigkeitsbewegung: Nie verheilte Wunden

Der Freiheitsdrang der Katalanen hat vielfältige Ursachen. Er speist sich auch aus den nicht aufgearbeiteten Verbrechen der Franco-Diktatur.

Eine katalanische und eine spanische Flagge flattern vor einer Kuppel im Wind

Hinter den Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens von Spanien stecken historische Wunden Foto: dpa

Jeder Konflikt und jede Krise hat seine eigene geschichtliche Gestalt und kann nicht einfach mit anderen verglichen werden. Das Wort „Separatismus“ in Zusammenhang mit Katalonien zu verwenden kommt aber schon einer politischen Parteinahme gleich.

Dieses Wort wird gerne von Zentralgewalten benutzt, um ihren Herrschaftsanspruch zu festigen und die jeweiligen (Befreiungs-)Bewegungen zu diffamieren. Das gilt für das Verhältnis China/Tibet genauso wie für das Verhältnis der Türkei zu den Kurden. Auch das serbische Milošević-Regime wollte 1991 seine militärische Intervention gegen die Loslösung der Republiken Slowenien und Kroatien von Jugoslawien und später im Kosovokonflikt mit dem Vorwurf des „Separatismus“ legitimieren.

In den Ohren vieler Katalanen löst dieses Wort eine Reihe von Assoziationen mit der jahrhundertelangen Dominanz der spanischen Zentralgewalt aus. Wie oft wurde die katalanische Sprache im Laufe dieser Jahrhunderte verboten? Wie oft hat die Zentralgewalt zu diktatorischen Zwangsmitteln gegriffen, um Katalonien und das Baskenland im Griff zu behalten? Sind die Wunden des Spanischen Bürgerkrieges von 1936 bis 1939 tatsächlich verheilt? Oder holt Spanien und Katalonien diese blutige und nie aufgearbeitete Geschichte erneut ein?

Als das Franco-Regime nach dem Tod des Diktators 1975 angesichts von Massendemonstrationen und Streiks zusammenbrach und 1978 endlich eine demokratische Verfassung verabschiedet wurde, hatte sich ein Kompromiss zwischen den beiden, etwa gleich starken Lagern in der postfranquistischen Gesellschaft, der demokratischen Linken und dem noch immer von den Herrschaftsmechanismen des Franco-Regime beeinflussten konservativen Lager, herausgestellt: Die Vergangenheit sollte ruhen und der Blick in die Zukunft gerichtet werden.

Anti-Frankisten hofften langfristig auf Föderalisierung

Über die Verbrechen der Franco-Zeit sollte nicht diskutiert, die Träger des alten Systems sollten nicht angetastet werden. Dafür gab es zunächst gute Gründe. Denn die franquistische Rechte war bereit, ihr System mit Gewalt zu verteidigen. Erst als der Putschversuch von General Milan Bosch 1981 am breiten Widerstand der Gesellschaft und der eindeutigen Stellungnahme des Königs gegen die Putschisten scheiterte, war der Weg zunächst frei für die Demokratisierung des Systems.

Von der Demokratisierung erhofften sich die antifranquistischen Kräfte langfristig auch die Föderalisierung Spaniens. Wenn heute fast alle Regierungen der EU und Brüssel sich einseitig auf die Seite Madrids stellen, sei daran erinnert, dass es damals eine Intervention „Europas“ für die Demokratie und für eine neue Verfassung Spaniens gegeben hat. Während starke Kräfte in der CDU/CSU – man denke nur an Franz Josef Strauß – gute Beziehungen zum Franco-Regime unterhalten hatten, versuchte die deutsche Sozialdemokratie unter Führung des Ex-Spanienkämpfers Willy Brandt schon vor Francos Tod den Demokratisierungsprozess in Spanien zu unterstützten. Der spätere langjährige Ministerpräsident Felipe González wurde wie viele Kader der Sozialistischen Partei, der PSOE, in Bad Godesberg geschult.

Spanienes Staatschef Rajoy hat den Konflikt zwischen Zentralstaat und den Regionen neu entzündet

Ohne die Rolle der SPD wäre der ans deutsche Grundgesetz angelehnte Verfassungskompromiss wohl nicht zustande gekommen. Die massive Intervention der europäischen So­zial­demokratie half also der spanischen Demokratie auf die Sprünge. Die Webfehler des Systems sollten nach Ansicht der Mehrheit der linken Kräfte dann in einem demokratischen Prozess überwunden werden.

Denn auch die Verfassung von 1978 ist nach wie vor zentralistisch ausgerichtet und berücksichtigt die Interessen der Regionen zu wenig. Der Versuch der Sozialisten 2005, das Relikt der Franco-Zeit, den Madrider Zentralismus, anzutasten und ein Autonomiestatut mit Katalonien auszuhandeln, stieß auf den massiven Widerstand der Konservativen. Indem Ministerpräsident Mariano Rajoy 2010 alles dafür tat, den Kompromiss in Bezug auf Katalonien zu Fall zu bringen, hat er die Lunte an den Konflikt zwischen Zentralstaat und den Re­gionen erneut gezündet. Seitdem befindet sich die katalanische Unabhängigkeitsbewegung wieder im Aufwind. Und die alten Wunden aus der Bürgerkriegszeit werden wieder aufgerissen.

Kaum Denkmäler für die gefallenen Anhänger der Republik

Die Hoffnungen, mit der Demokratisierung würde auch symbolisch ein Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen, haben sich nicht erfüllt. Warum gibt es fast keine Denkmäler für die Gefallenen und die im Franco-Staat ermordeten Anhänger der Republik, während die großen Monumente für die „Helden“ der Faschisten bestehen blieben? Warum wurden überlebende Kämpfer für die Republik im neuen System nicht nur politisch, sondern auch sozial benachteiligt – so im Rentensystem, während Repräsentanten des alten Regimes weiterhin ihre alten Privilegien genießen konnten? Die nationale Aussöhnung wurde von den rechten Parteien blockiert.

Wie überall in ähnlichen Konflikten waren es auch in Spanien die Opfer, die – ohne nachhaltigen Erfolg – ihre Hand gereicht haben. Die weit verzweigte Zivilgesellschaft in Katalonien hat ihre Wurzeln im antifranquistischen Kampf der 70er Jahre, der wiederum an die Traditionen der Linken des Bürgerkriegs anzuknüpfen suchte. Die ehemals linke und multinationale Arbeiter- und Stadtteilbewegung und jetzige Zivilgesellschaft tut sich trotz der gemeinsamen Ablehnung des Madrider Zentralismus allerdings schwer, mit dem nationalistisch denkenden katalanischen Kleinbürgertum zu kooperieren.

Der Kern der nationalen Unabhängigkeitsbewegung besteht aus Leuten, die sich wie Puigdemont in der Tradition der katalanischen kleinbürgerlichen Nationalbewegung sehen. Die Repression in der Franco-Zeit, das Verbot ihrer Sprache und Kultur, hat tiefe Spuren in Hunderttausenden von Familien hinterlassen. Wie alle Nationalisten stehen auch die katalanischen politisch rechts, sie sehen sich aber gezwungen, sich wie in der Zeit des Bürgerkriegs mit den Linken zu verbünden, um ihr Ziel, die Unabhängigkeit von Spanien, doch noch zu erreichen. Dagegen sind große Teile der Zivilgesellschaft dem linken und multinationalen, demokratischen Spektrum zuzurechnen, das proeuropäisch und basisdemokratisch gepolt ist. Dieses Spektrum steht für eine Autonomie des Landes ein, aber nicht unbedingt für die staatliche Unabhängigkeit Kataloniens.

Die katalanische Bewegung also ist in sich widersprüchlich und differenziert. Doch es gibt durchaus Grund zu der Annahme, dass in den nächsten ­Tagen und Wochen alle Seiten des katalanischen politischen Spektrums zusammenstehen werden.

Nicht vergleichbar mit anderen populistischen Bewegungen

Das Europa der EU darf nicht ignorieren, dass die katalanische Bewegung aus ihrer Geschichte und ihrer Entwicklung der letzten Jahrzehnte heraus proeuropäisch tickt und keineswegs in den Topf der populistischen Bewegungen in anderen Teilen Europas geworfen werden kann.

Dagegen werden von europäischer Seite aus die neofranquistischen Bewegungen in Spanien (Kastilien) unterschätzt. Die bisherige Haltung der EU und auch Deutschlands mag zwar legalistisch sein, ist aber keineswegs klug. Dass die spanischen So­zialisten offenbar jetzt Rajoy unterstützen, sollte die SPD auf den Plan rufen.

Der Autor unterstützte Anfang der siebziger Jahre die antifranquistischen Widerstandsbewegungen in Katalonien. Buch: Alle oder keiner, Rotbuch-Verlag

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