Kinder-Doku im Ersten: Es sind ja nur Kinder

„Weil ich länger lebe als du“ zeigt, wie sich Kinder für Umweltschutz und gegen Gewalt im Elternhaus einsetzen. Die Doku lässt die Sichtweise der Kinder unkommentiert.

Kindermund tut Wahrheit kund. Bild: WDR/Börres Weiffenbach

Genf, irgendwo in den Gebäuden der Vereinten Nationen: Zielstrebig geht der schmale Junge mit der Harry-Potter-Brille auf der Nase auf Kofi Annan zu: „Hi, ich bin Felix. Ich bin im Kindervorstand des UN-Umweltprogramms“, erklärt der Zwölfjährige dem leicht verdutzten Ex-UN-Generalsekretär in einwandfreiem Englisch.

„Ich vertrete Europa. Ich werde gleich eine Rede halten.“ – „Hi Felix, fantastisch“, sagt Annan. Die anwesenden Damen und Herren lächeln verzückt: Welch niedliche Szene!

Dabei ist es Felix ziemlich ernst, wie auch den anderen beiden Kindern, die Henriette Bornkamm und Carl-A. Fechner für ihre Doku „Weil ich länger lebe als du! Kinder kämpfen für ihre Welt“ begleitet haben und die wohl den angemessen kritischen, öffentlich-rechtlichen Diskursbeitrag zu dem am Freitag zu Ende gegangenen UN-Umweltgipfel in Rio de Janeiro darstellen soll.

Der Film erzählt, wie Felix mit 9 Jahren beschloss, eine Million Bäume gegen den Klimawandel zu pflanzen. Ein internationales Kindernetzwerk („Plant for the Planet“) entstand, mittlerweile beschäftigt die Kampagne 12 MitarbeiterInnen – und Felix ist zum Geschäftsmann in Kapuzenjacke geworden, der ab und zu mal die Kunsthausaufgaben abschreibt, damit er Zeit für die nächste Konferenz hat.

Oder damit er per Facebook sein Netzwerk ausbauen kann: Felix skypt mit Roman aus dem Irak. Roman will auch Bäume pflanzen, allerdings geht sein eigenes Weltverbessererprojekt vor: Der 13-Jährige geht jeden Tag nach der Schule los, um mit Eltern über häusliche Gewalt zu reden, die sie an ihren Kindern ausüben. Roman glaubt, dass solche Kinder später Terroristen werden. Der Film lässt diese unbedingte Sichtweise eines Kindes dankenswerterweise vollkommen unkommentiert.

Lächeln kostet nichts

Schwenk zur 15-jährigen Fardosa, die in Kenia ein Slum-Radio betreibt. Felix und Fardosa begegnen sich, als sie ihn zu ihrer Radioshow einlädt. Leider gelingt Bornkamm und Fechner die kommentarlose Beobachterposition hier nicht mehr so gut. Den gaffenden Blick des europäischen Wohlstandsbürgers in Fardosas Slum-Behausung hätte man sich sparen können. Und damit ist nicht Felix’ Blick, sondern jener der seine schockierten Reaktionen beobachtenden Kamera gemeint. Mitleid zeigen wollen ist immer blöd, weil es den anderen zum hilfsbedürftigen Objekt degradiert.

Dabei gibt es viel aussagekräftigere Szenen, die Fardosas Enthusiasmus bei ihrer Arbeit einfangen, etwa wenn sie mit anderen Jugendlichen diskutiert, warum die Beschneidung von Mädchen abgeschafft gehört. „Es kann unkontrollierbares sexuelles Verlangen zügeln, wie es Mädchen manchmal haben“, sagt einer. „Versteht ihr?“ Nein, Fardosa versteht überhaupt nicht. Und man ahnt bei solchen Sätzen, wie viel sie noch zu tun hat.

Dass Felix, Roman und Fardosa so jung sind, ist zugleich ihr wichtigstes Kapital wie ihr größter Nachteil. Der Vorteil: Man lässt sie machen. Es sind ja bloß Kinder – sie wollen weder Geld, noch dass man irgendwelche Abkommen unterzeichnet. Der Nachteil, so lautet auch die subtile Botschaft dieser manchmal leider etwas pathetisch geratenen Doku: dass man Kinder so herrlich für seine Zwecke einspannen kann.

Als Felix Norbert Röttgen, da war er noch Umweltminister, und ein paar anderen politischen Würdenträgern seine Kampagne vorstellt, lassen die den Jungen reden, hören nicht zu und lächeln hübsch nach allen Seiten, für die Kameras. Lächeln kostet nichts und ein Bild mit Kind macht sich immer gut. Als Felix einen Vortrag vor Geschäftsleuten hält und zum ersten Mal um Spendengelder für sein Projekt bittet, hebt sich keine einzige Hand.

Montag, 25.06.2012, 22.45 Uhr, ARD

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