Kindergeld für EU-Ausländer: Missbrauch oder europäisches Recht?

Bürgermeister wittern Betrug beim Kindergeld durch Migranten. Tatsächlich finden mehr EU-Bürger einen Job in Deutschland. Illegal ist das nicht.

Zwei Kinder werfen in der Sonne einen Schatten

Kindergeld gibt es auch für EU-Bürger, die in Deutschland leben und arbeiten Foto: dpa

Die AfD spricht von Werbung für Sozialtourismus, mehrere Oberbürgermeister sehen den Frieden in ihren Städten in Gefahr. Anlass ist die Statistik über Kindergeldzahlungen für Kinder, die nicht in Deutschland leben. Im Juni wurde diese Leistung laut Bundesfinanzministerium für 268.336 Kinder außerhalb Deutschlands gezahlt. Das ist eine Zunahme von knapp zehn Prozent gegenüber Ende 2017. Kostenpunkt: rund 50 Millionen Euro monatlich.

Grundsätzlich ist der Bezug von Kindergeld für im EU-Ausland lebenden Nachwuchs keineswegs illegal. Wer in Deutschland einer Arbeit nachgeht oder hier seinen Wohnsitz hat, kann hier Kindergeld beantragen. So regelt es das europäische Recht. Dass die Zahlungen steigen, hängt wohl in erster Linie damit zusammen, dass mehr EU-Bürger in der Bundesrepublik einen Job finden. Die Beschäftigung der ausländischen Bevölkerung aus den EU-28-Ländern ist im Mai 2018 gegenüber dem Vorjahresmonat um 192.000 Personen, um 8,6 Prozent, gestiegen, so die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA).

Nach Angaben der BA kam es bei den Kindergeldanträgen aber in Einzelfällen auch zu Betrügereien. Einem Sprecher der BA zufolge sind bei Verdachtsprüfungen in Wuppertal und Düsseldorf gefälschte Geburtsurkunden aufgefallen. In 40 von 100 geprüften Fällen wurden fehlerhafte Angaben festgestellt. Eine Gesamtsumme möglicher Missbrauchsfälle lasse sich aber nicht seriös schätzen, so der Sprecher zur Nachrichtenagentur dpa.

Einige Kommunalpolitiker – vor allem in NRW – haben die Ursache für sich bereits identifiziert. Sie sehen einen Zusammenhang zu osteuropäischen Schlepperbanden. Deren Geschäftsmodell, so der Vorwurf, bestünde darin, Menschen aus vornehmlich Rumänien und Bulgarien nach Deutschland zu bringen, ihnen hier Mietverträge und Scheinarbeitsverträge auszustellen, damit sie Kindergeld beantragen können. Der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link (SPD) mahnt: Die Freizügigkeit habe das Ziel, woanders eine Arbeit zu finden, nicht in das Sozialsystem einzuwandern und staatliche Gelder abzukassieren.

Familienkassen inzwischen sehr streng

Mihaly Lakatos kümmert sich bei der Caritas in Köln seit Jahren um Familien aus Rumänien und Bulgarien und kennt deren Lebensrealität gut. Er bestätigt, dass es Betrugsfälle gegeben habe: „Ja, es gab Schlepperbanden, die Menschen hierher gebracht haben, damit sie Kindergeld beantragen“. Und es gebe Familien, die sich hauptsächlich über diese Leistung finanzierten. Mittlerweile aber seien die Familienkassen sehr streng, besonders bei Kindern im Ausland. „Viele Familien, die ich betreue, kommen in letzter Zeit mit Ablehnungsbescheiden zu mir.“

Eine Kürzung des Kinder­geldes ist für Lakatos keine Lösung, um ausbeuterischen Gruppen und Betrug vorzubeugen. „Man muss an die Banden und Firmen ran, die Verträge für Minijobs ausstellen, die Menschen aber trotzdem den ganzen Tag arbeiten lassen und am Ende auch noch die staatlichen Leistungen von ihnen kassieren.“ Lakatos warnt vor einer Stigmatisierung der betroffenen Familien.

Österreich prescht mit Neuregelung vor

Der Deutsche Städtetag wiederum drängt auf eine neue Regelung beim Kindergeld. Dieses „sollte sich daran orientieren, was Kinder in ihrem tatsächlichen Aufenthaltsland brauchen“, so Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. Die Bundesregierung würde dieser Forderung nur zu gern Folge leisten. Schon die letzte Groko hatte Eckpunkte beschlossen, mit dem Ziel, die Höhe der Familienleistung an die Lebenshaltungskosten des Wohnsitzstaates zu koppeln. Heute wie damals sträubt sich aber die EU. Sie hält den Vorschlag einer Indexierung nach Ländern für ineffizient, weil ein enormer Verwaltungsaufwand für eine verhältnismäßig kleine Fallzahl entstünde.

Österreich ließ sich davon nicht entmutigen. Die rechtskonservative Regierung präsentierte im Mai ein Gesetz, nach dem die Familienbeihilfe ab 2019 an die Lebenskosten im Heimatland angepasst werden soll. Familienministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) stellt eine Ersparnis von über 100 Millionen Euro in Aussicht. Die EU-Kommission kündigte an, das Gesetz auf die Vereinbarkeit mit EU-Recht zu prüfen.

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