Kinostart „Oldboy“: Entgrenzte Körper

„Oldboy“ von Spike Lee beruht auf einem Rachedrama des koreanischen Regisseurs Chan-wook. Zerstörungswut findet keine kathartische Auflösung.

Gibt den Widerling: Sharlto Copley in „Oldboy“. Bild: universal pictures germany

Spike Lee und Quentin Tarantino sind zwei meinungsstarke Reizfiguren im gegenwärtigen US-Kino. Beide Regisseure vertreten auch – vorsichtig formuliert – grundlegend konträre Vorstellungen von einem populären Unterhaltungskino mit politischem Anspruch.

Für den ewigen Fanboy Tarantino hat sich diese Strategie als kluger Schachzug erwiesen. In der Medienöffentlichkeit generieren seine Filme heute genug Aufmerksamkeit, um sogar gesellschaftliche Debatten anzustoßen. Spike Lee hat sich in der Vergangenheit wiederholt als moralische Instanz speziell gegenüber dem Kino Tarantinos positioniert. Zuletzt hagelte es harsche Kritik an den revisionistischen Gewaltfantasien im Sklaven/Rächer-Western „Django Unchained“.

Insofern entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Spike Lee beim Remake von Park Chan-wooks Rachedrama „Oldboy“ die Regie übernommen hat. Parks Film wurde 2003 in Cannes, unter der Schirmherrschaft von Jury-Präsident Tarantino, mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet.

„Oldboy“. Regie: Spike Lee. Mit Josh Brolin, Elizabeth Olsen. USA 2013, 104 Min.

Warum Tarantino den koreanischen Regisseur so vehement protegierte, ist offensichtlich. Das Schwelgen in comichaft stilisierter Gewalt und das wilde Pastiche aus ästhetischwertigem Kunstkino und greller pulp fiction gehören auch zu Tarantinos Stilmitteln. „Oldboy“, das grotesk hochgepitchte Mittelstück von Parks Rache-Trilogie, erlangte nicht zuletzt dank seines Zuspruchs unter Genrefans Kultstatus.

Keine Vermittlung

Was dagegen Spike Lee an der Geschichte eines Mannes, der nach zwanzig Jahren Gefangenschaft in einem fensterlosen Raum wieder auf die Gesellschaft losgelassen wird, interessiert haben mag, erschließt sich auf Anhieb nicht. Den blutigen Rachefeldzug in einer fremden, in ihren Grundfesten erschütterten Welt (von 9/11 und der Flutkatastrophe von New Orleans erfährt der Entführte nur aus dem Fernsehen, wie auch vom Mord an seiner Frau und der Adoption der Tochter) könnte man immerhin als starke Metapher für ein tief sitzendes gesellschaftliches Unbehagen deuten.

Bei Park war dieser Aspekt etwas unterentwickelt, dafür war sein Film mit einem hysterischem Inzest-Subplot, seinem bedrohlich zum Camp neigenden Gefühlshaushalt und bizarren Gewaltexzessen noch zu sehr in den Phantasmagorien des Manga verwurzelt. Um ein durchschnittliches amerikanisches Mainstreampublikum zu erreichen, benötigte die Geschichte also dringend eine vermittelnde Instanz.

Um Vermittlung ist Spike Lee in seiner Neuinterpretation, wie er das Remake bezeichnet, allerdings nicht bemüht. Auch sein Film blendet konsequent alle gesellschaftlichen Zusammenhänge aus. Lee arbeitet in „Oldboy“ häufig mit klaustrophobisch engen Einstellungen. Informationen bleiben auf die Bildkader beschränkt, Totalen gibt es kaum.

Rustikales Männer-Ensemble

So ist die Gewalt ähnlich wie bei Park allein aus den Figuren heraus motiviert. Ihre Obsessionen, ihre entgrenzten Körper und ihre Zerstörungswut fungieren als Triebfeder eines schicksalhaften, grandios überkandidelten Komplotts, hinter dem schließlich ein lächerlicher Widerling (Sharlto Copley) hervortritt, dessen effeminiertes Auftreten ihn unmissverständlich als Witzfigur kennzeichnet.

Im Gegensatz dazu hat Lee die übrigen Figuren mit Alphamännchen-Qualitäten ausgestattet. Josh Brolin interpretiert seine Hauptfigur Joe Doucett als testosterongesteuerte Naturgewalt: ein aufgeblasenes Werber-Arschloch, dem es erst entschieden an Umgangsformen mangelt und das sich später in ein unzerstörbares Stehauf-Männchen verwandeln muss. In der berühmtesten Szene des Films schlägt er nur mit einem Hammer bewaffnet eine Schneise durch ein Heer von Gangsterschergen. Die Feuertaufe eines Antihelden.

Samuel L. Jackson darf als Joes persönliche Nemesis zwar modisches Crossdressing betreiben (blonder Iro zum Lederkilt), variiert ansonsten aber nur den Stereotypus des sadistischen Psychopathen. Zur Strafe darf Brolin ihm dafür mit einem Teppichmesser die Halspartie perforieren. In diesem rustikalen Männer-Ensemble hat Elizabeth Olsen in der einzigen weiblichen Hauptrolle erwartungsgemäß wenig Entfaltungsspielraum. Als Joes einzige Verbündete wird sie ahnungslos in den perfiden Masterplan verstrickt.

Man muss kein ausgesprochener Fan von Parks Film sein, um Lees Remake problematisch zu finden. Schon das fulminante Original war kein sonderlich einleuchtender Film, allenfalls eine Ansammlung genretauglicher Affekte ohne kathartische Auflösung. Auch Lee findet kein erzählerisches Mittel, diesen Triebstau zu kompensieren oder wenigstens in einen sinnfälligen gesellschaftlichen Konflikt umzuleiten. Stattdessen hält er sich großenteils an das Original, auch wenn dieser kulturelle Transfer zwangsläufig scheitern muss. Seine Interpretation von „Oldboy“ geht irgendwo auf halber Strecke lost in translation. Nicht auszudenken, was Quentin Tarantino aus diesem Stoff herausgeholt hätte.

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