Klettern im Dachsteingebirge: Nervenkitzel statt Panoramablick

Bergwandern war gestern: Am Dachstein locken inzwischen 18 Klettersteige in allen Schwierigkeitsgraden zunehmend junge Leute in die Silberkarklamm.

Nervenkitzel: Gesicherte Klettersteige werden immer beliebter. Bild: dpa

Es war Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts, da hatte Matthias Erlbacher, genannt Hias, eine Geschäftsidee: Ob wohl die Wiener Gesellschaft, die immer zur Sommerfrische anreiste, Gefallen daran fände, seine Klamm zu durchsteigen, hinauf zur Alm, dabei den spektakulär-romantischen Sturzbach mehrfach kreuzend, um 250 Meter weiter oben sich niederzulassen in seiner Hütte?

Würden sie wie er, etwas ermattet, aber zufrieden, bei einer Brotzeit wohlgefällig bestaunen, was der Herrgott so unvergleichlich schön geschaffen hatte: eine sanft abfallende Hochebene, fast vollständig umringt von den Gipfeln der Berge, von der aus die Klamm talwärts nur einen schmalen Spalt breit den Blick freigab auf die andernseits des Ennstals liegenden Schladminger Tauern? Der Hias wollte es herausfinden.

Also verlegte er ein paar Bretter, wo das Wasser zu tief war, um es trockenen Fußes zu queren, befestigte dickere Bohlen an den Felsen am Rand der Klamm, bewehrt mit einem provisorischen Geländer an den Stellen, wo die Herrschaften ins Wasser stürzen konnten, und ein paar Seile, damit sie sich festhalten konnten. Und dann nahm er sie mit in die Silberkarklamm, zwei seiner Dauergäste: die Sommerfrischler Pfarrer Koch und die energische Witwe Goldschmied, und als sie nach schweißtreibendem Anstieg oben angekommen waren, da fragte er die Frau Goldschmied, ob das nicht eine schöne Wanderpartie für die Damen und Herren aus der Hauptstadt sein könnte.

Und da sagte Frau Goldstein: Ja, das würde denen sehr gefallen. „Aber“, gab sie dem Hias zu bedenken, „du musst unten am Eingang zur Klamm ein Kassenhäuschen hinstellen, denn wovon willst du denn das ganze Holz bezahlen, das du brauchen wirst, wenn die Lawinen und das Wasser im Winter und Frühjahr deine Hütte und deine Brücklein zu Tal gerissen haben?“

Die Region: Das Dachsteingebiet ist die beste Klettersteigregion in Österreich. Inzwischen existieren 18 Klettersteige in allen Schwierigkeitsgraden. Zuletzt entstanden: 2010: „Anna“, der in Verbindung mit dem „Johann“ und der Dachsteinschulter zum Gipfel führt. Gesamtkletterhöhe: 1.200 Meter. 2012 der ebenfalls fantastische „Sinabel“, nahe dem Guttenberghaus. 2014: „Rosina“ in der Silberkarklamm. Im Silberkar wurde im 15. Jahrhundert Silber gesucht und gefunden, später diente es als Viehalm.

Information Silberkarklamm: Herwig Erlbacher, Leiten 53, 8972 Ramsau am Dachstein, Tel. +43 36 87 8 13 77, E-Mail: office@bacherhof.at

Tipp 1: Wer sich mit Bedacht an den Berg herantasten will, kann in Ramsau den Klettersteigschein für Frischlinge machen. Gebühr: 29 Euro.

Tipp 2: Die TV-Serie „Die Bergretter“ wurde am Dachstein gedreht, einige Szenen in der Silberkarklamm. 2015 findet die vierte Fanwanderung mit Stars vom 11. bis zum 13. September statt.

Informationen: Tourismusverband Ramsau am Dachstein, Ramsau 372, 8972 Ramsau, Tel. +43 36 87 8 18 33 Fax: +43 36 87 8 10 85 E-Mail: info@ramsau.com

Eintrittsgeld für einen Bergweg

Also baute der Hias die Hütte dort oben aus, damit er die künftigen Abenteurer verköstigen könnte, nannte sie Silberkarhütte und stellte unten ein Kassenhäuschen hin. Da schüttelten sie im Tal ihre Köpfe. Eintritt nehmen für einen Bergweg! Das gabs ja noch nie. Muss das denn sein?

Aber der Hias hörte nicht auf die Einheimischen. Inzwischen betreibt sein Enkel Herwig Erlbacher die Silberkarhütte und sorgt für den bequemen Zustieg durch die Klamm. Mit den Einnahmen des Sommers und Herbstes erneuert er jedes Frühjahr die Leitern und Brücken, die von Lawinen aus Stein und Schnee zerstört waren. Die drei Euro, die jeder Besucher bezahlen muss, nennt er Klamm-Erhaltungsgebühr. Weil er in ganz Österreich das einzige Kar in private Hand hält, hatte er auch alle Freiheiten, darüber nachzudenken, wie er das Angebot verbessern könnte.

Die Antwort lieferte ein Trend: Wandern in den Bergen galt unter jungen Leuten als langweilig, in Verbindung mit Klettern jedoch zunehmend als hip. Und so ließ er 2006 den Prugger Hans den ersten Klettersteig bauen, den Hias, benannt nach dem Großvater. Da riefen die Einheimischen wieder: Muss das denn sein?

Hüftgurt und Helm

Inzwischen ließ Erlbacher zwei weitere Klettersteige bauen. Für den „Siega“ (benannt nach Sigmund, dem Besitzer der oberhalb gelegenen Stangalm) verankerte Prugger 2008 rund 260 Meter Stahlseil und bohrte Löcher für zahlreiche Trittstifte in den Fels unterhalb der Wasenspitze; im vorigen Jahr (2014) entstand der 140 Höhenmeter kurze, aber sehr senkrechte „Rosina“-Steig, von dem aus man bis ganz oben stets auf die wilden Wasser in der Klamm hinabblicken kann. Geübte Klettersteigler machen alle drei Steige an einem Tag, die einheimische Jugend braucht dafür nur einen Nachmittag.

Inzwischen trägt ein Drittel der Klammbesucher Hüftgurt und Helm mit sich. „Es war eine Nachfrage da“, sagt Herwig Erlbacher auf der Bank vor der Silberkarhütte. Heute sagt er: „Das Geld für die Steige war die beste Investition meines Lebens.“

Bergführer, Hüttenpächter, Seilbahnbetreiber und Tourismusmanager freuen sich über die Neuentdeckung der Berge. Immer neue Steige entstehen. Am Dachstein sinds inzwischen 18. Der Deutsche Alpenverein (DAV) vermeldete bereits 2007 einen „alpenweiten Trend zur Neuerschließung von Klettersteigen“. Der Verein sieht das „grundsätzlich kritisch“, hat sich aber entschlossen, was nicht zu verhindern ist wenigstens mitzugestalten. Dabei stellt der DAV „sehr hohe Anforderungen an Bedarf, Naturverträglichkeit, Sicherheit und alpinsportliche Konzeption“.

600 Klettersteige in Österreich

Seither (2007) sind nach Angaben der Umweltgruppe Mountain Wilderness International in Deutschland, Österreich und der Schweiz mehr als 100 neue Klettersteige errichtet worden. Österreich habe mit inzwischen rund 600 Anlagen sogar das „klassische Klettersteigland“ Italien überholt. In Deutschland gibt es inzwischen mehr als 200 Steige, in der Schweiz etwa 170. Für den Vorsitzenden des deutschen Verbands, Michael Pröttel, sind die Alpen „längst übererschlossen“.

„Wir haben den Bedarf in gewissem Sinn geweckt“, räumt Elias Walser ein, Geschäftsführer des Tourismusverbands Ramsau. Aber er sieht in den Klettersteigen „das fehlende Glied zwischen hochalpinem Wandern und Alpinismus“, sprich: Bergsteigen. Unverkennbar sei der Nutzen: Wandern sei doch für junge Menschen nicht mehr attraktiv gewesen; aber seit es die Sportklettersteige gebe, strebe auch die Jugend wieder in die Berge. Der Klettersteigbau sei somit der „Anti-Aging-Doktor für den Berg“.

Dafür muss jetzt häufiger die Bergrettung eingreifen. Laut DAV hat sich die Zahl der Notfallmeldungen binnen zehn Jahren verdreifacht. Nicht Stürze sind dafür verantwortlich, Ursache für Einsätze der Bergrettung sind häufiger körperliche Probleme oder Blockierung. Mangelnde Erfahrung führt häufig zu Überschätzung. Der DAV warnt: „Alpine Klettersteige sind nicht geeignet, körperliche Grenzen auszuloten.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.