Kolumne „Behelfsetikett“: Die Angst geht um unter Gärtnern

Graben, jäten, grillen, chillen – das Dasein in einer Kleingartenanlage war schön, bis der Berliner Bauboom ausbrach. Jetzt wird auf Ordnung gepocht

Achtung, Kleingartenanlage: bitte nur vorwärts einparken – und auch die Hecke kurz halten, aber Hallo! Foto: dpa

|Es ist ein magischer Moment: Sie schaut mir direkt in die Augen, mehrfach und sekundenlang. Völlig ungeniert sitzt sie im Efeu und frisst die Samen vom letzten Herbst, fingernagelgroße, schwarze, runde Dinger. Einen nach dem anderen schluckt die Amsel runter wie nichts – und mir fällt ein Größenvergleich ein: Das ist, als ob ein Mensch eine fußballgroße Frucht im Ganzen herunterschlingt. Ich harke den Rasen vorm Efeu und halte inne, uns trennen keine 20 Zentimeter. Die Amsel zeigt keinerlei Scheu. Ich bin fasziniert und happy. Die Idee mit dem Garten war eine gute Idee.

Seit Jahren fände ich es schick, eine Gartenkolumne zu schreiben. Aber dazu muss man erst mal einen Garten haben; ein Balkon ist für eine Kolumne nicht groß genug. Doch jetzt ist es endlich so weit. Eine Freundin lässt uns mitgärtnern. Das kommt nicht von ungefähr.

Die Freundin hat den Garten seit rund zehn Jahren. Die letzten Sommer waren wir immer wieder zu Gast, ein bisschen Unkraut jäten, Kirschen pflücken, ansonsten grillen und chillen – so ein Garten ist toll. Aber das wusste ich ja schon davor: Ich bin mit einem Garten aufgewachsen.

Im letzten Winter hat die Freundin schweren Herzens davon berichtet, den Garten aufzugeben, denn der würde ihr einfach zu viel. Das hat einen speziellen Grund, man könnte ihn mit „Berliner Wohnungsproblem“ beschreiben. Denn in den Kleingartenanlagen dieser Stadt geht die Angst um. Weil Berlin immer weiter wächst, wird jede kleine Baulücke geschlossen, jede noch so winzige Brache zugebaut. Und wo gibt es potenzielles Bauland in Hülle und Fülle? Eben.

Bitte ordentlich!

Die Vorstände von Kleingartenanlagen pochen deshalb verstärkt auf die Einhaltung der Vereinssatzungen für ordentliche deutsche Kleingartenanlagen. Denn wenn die Satzungen nicht eingehalten werden, könnte ja ein Politiker auf die Idee kommen, dass es sich hier um keine ordentliche Kleingartenanlage im Sinne des Gesetzes handelt. Dann könnte die eventuell weg – und die Fläche mit Wohnungen bebaut werden. Interessant für alle, denen das Grundstück der Kleingärten gehört: mal dem Bezirk, mal Privatmenschen. Also wurde die Devise ausgegeben: Satzung einhalten, auf Teufel komm raus; bloß keine schlafenden Hunde wecken.

Anfang März war Gartenbegehung durch die Vorstandsmitglieder des Kleingartenvereins. Mit Zollstock und Protokoll. Alle Hecken im Garten sind zu kürzen, so das Messergebnis. Der alte Walnussbaum hat Bestandsschutz, dürfte hier aber gar nicht stehen. Und das Dach der Veranda ist eigentlich zu groß, die Gemüseanbaufläche sind viel zu klein. So und so viel Quadratmeter müssen umgegraben werden. Puh!

Genau Letzteres wollte die Freundin partout nicht tun. Und so komme ich ins Spiel. Umgraben ist ein Klacks für mich, mach ich mit links und hab Spaß dabei. Und so bin ich – gewissermaßen anteilig – zu einem Garten gekommen.

Im eigenen Beet wachsen schon Möhren und Pastinaken, nach den Eisheiligen Mitte Mai pflanze ich Auberginen und alte Tomatensorten. Eine Win-win-Situation. Die Freundin behält ihren Garten, und ich kann gärtnern. Muss ich am Ende Senator Geisel für seinen Bauboom dankbar sein?

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