Kolumne Besser: Nicht für euch, Sarrazinisten

Vor einem Jahr starb der taz-Kolumnist und Korrespondent Klaus-Peter Klingelschmitt. Eine Ehrerweisung.

Klaus-Peter Klingelschmitt. Bild: privat

Am 28. November jährt sich der erste Todestag von Klaus-Peter Klingelschmitt, dem langjährigen Frankfurter Korrespondenten der taz. Vom Mai 2008 bis zu seinem Tod erschien an dieser Stelle seine Kolumne „Älter werden“. Besser, er spricht selbst:

Ich schreibe nicht für euch, ihr Sarrazinisten vom unrechten Flügel der Sozialdemokratie, die ihr euch nicht entblödet, mit euren gewichsten Stiefeletten (Italian Style) nach ganz unten durchzutreten. Und nicht für euch skrupellosen und in jeder Hinsicht kreativen Bosse in schwarzen Boss-Rollis, die ihr über schwarze Konten in der Schweiz verfügt, damit die Armut hier, die euch so ankotzt, nicht mit euren Steuergeldern bekämpft werden kann, die ihr zu Weihnachten 100 Euro an Amnesty spendet, weil ihr in eurem humanistischem Gymnasium doch postpubertär leicht links sozialisiert wurdet und eure Jura (oder BWL) studierenden Töchter an den Heckscheiben ihrer saublöden SUVs den Che kleben haben, der aktuell très chic ist.

Und nicht für euch, die ihr euch im Net Günther oder sonst wie nennt und in dieser Politikerblume für Recht- und Linkshaber immer das lesen wollt, was ihr euch selbst so denkt, die ihr zu wissen glaubt, was recht links ist und nie von Zweifeln geplagt werdet. Und nicht für euch, die ihr die Welt schwarz-weiß wahrnehmt, den Farbfilm vergessen habt und das Entwickeln sowieso. Nein, für euch nicht!

Und nicht für euch, die ihr als Jungredakteure einmal links gewesen seid und jetzt in der Sendeanstalt HR, dem einstigen Rotfunk, eurem gesetzlichen Bildungsauftrag opportunistisch noch nicht einmal mehr ansatzweise gerecht werdet, sondern euch im TV mit Sendungen wie dem ABC der Volksmusik, der Klinik unter Palmen und Hessens beliebteste Schauspieler der Volksverdummung verschrieben habt, und die ihr tatsächlich zu wissen glaubt, dass wir älter werdenden Menschen von My Generation jetzt auch schon so verrückt, blöd und doof geworden seien wie ihr.

Und nicht für euch, die ihr glaubt, mit einem Stück Stoff auf dem Kopf oder weil ihr freitags Fisch esst oder euch an Sabbat nicht die Fußnägel schneidet, näher bei Gott zu sein, die ihr verzweifelt nach dem Sinn des Lebens sucht und dabei vergesst, dass es die eigentliche Aufgabe ist, ES gerecht gegen alle, verantwortungs- und genussvoll (im Wissen um seine Endlichkeit) und dabei möglichst viel Liebe gebend einfach zu leben, die ihr zu eifernden Missionaren mutiert und euren Nächsten überall auf der Welt auf den Keks geht.

Die Fahne der Revolution

Und auch nicht für euch Salonkommunisten, die ihr im Entertaineranzug weichgespülte Partisanenlieder zum Vortrag bringt, sirupblöde die Bundespräsidentenwahl zwischen Gauck und Wulff mit der zwischen Hitler und Stalin vergleicht und euch bis heute nicht dafür schämt, mit der Stasi zusammengearbeitet und an Genossen wie Wolf Biermann Verrat geübt zu haben. Nein, für euch nicht!

Und auch nicht für euch (organisierte) Linke, die ihr glaubt, dass die DDR das bessere Deutschland war und das diktatorische System mit seinen Regalen voller Einweckgläser mit Geruchsproben von Klassen- und Staatsfeinden Sozialismus. Nein, für euch nicht!

Für alle anderen, sich als undogmatisch links definierenden Menschen, die noch immer die Fahne der Französischen Revolution von 1789 hochhalten und hartnäckig Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einklagen, aber schon. Und gerne.

Diese Kolumne erschien zuerst am 27. Juli 2010 unter dem Titel „Für wen ich (nicht) schreibe.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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