Kolumne Darum: Geile heile Welt

Erwachsen ist, wer um 6.45 Uhr Pausenbrote schmiert. Also lieber keine Kinder? Nein. Besser fragen, was Darth Vader tun würde.

In der Tim-und-Struppi-Phase kann man sich schon mal Flüche für später merken. Bild: AP/Herge/Moulinsart 2004

Kinder stellen sich das Erwachsensein als einen Zustand ewiger Glückseligkeit vor. Erwachsene dürfen Süßigkeiten essen, wann sie wollen. Sie können abends fernsehen. Sie geben Geld für jeden Quatsch aus. Sie verfügen über die Macht, andere ins Bett zu schicken.

Dabei sieht die Realität des Erwachsenseins anders aus. Erwachsen ist nur, wer morgens um 6 Uhr 45 unausgeschlafen in der Küche steht, Pausenbrote im Akkord schmiert und dabei weiß, dass das alles nachmittags möglicherweise ungegessen zurückkommt. Erwachsen zu sein nervt. Davon wiederum wollen Kinder nichts hören. Ein unlösbares Problem.

Unlösbar? Von wegen! Was würde Lassie tun? Was Donald Duck? Wie würden wohl Tim und Struppi für Abhilfe sorgen? Kann Darth Vader das verworrene Dickicht aus Erwartungen und gegenseitigen Schuldzuweisungen mit seinem Laserschwert zerschlagen? Ja, ja, ja und ja.

Dank unserer Kinder können wir zeitweise auch wieder zu Kindern werden. Zu Hause hat gerade die Tim-und-Struppi-Phase begonnen. „Hunderttausend heulende und jaulende Höllenhunde!“, schimpft Tims Freund Kapitän Haddock da. Wir speichern diesen Fluch ab, um ihn statt der üblichen Phrasen auf einer der nächsten Redaktionskonferenzen zu verwenden.

Wir haben wieder Träume

Abends schauen wir gemeinsam, wie der uralte Bordercollie Lassie jede Schwierigkeit vierpfotig am Wegesrand hinter sich lässt. Geile heile Welt. Wir sehen uns das an, und wenn der Film vorbei ist, greifen wir zu Micky-Maus-Heften, beneiden Dagobert Duck um seinen Geldspeicher und bereisen mit Huckleberry Finn den Mississippi. Wir sind wieder jung, erleben wieder Abenteuer. Wir haben wieder Träume.

Von Kinderlosen hören wir oft, wie stressig unser Leben zwischen Job und Kindern doch sein müsse. Dass man nicht tauschen möchte, nein, um keinen Preis. „Hagel und Granaten!“, rufen wir dann, Kapitän Haddock zitierend. Denn tauschen wollen auch wir nicht. Dann könnten wir nicht mehr ohne Entschuldigungen zu stammeln („Ist nur Teil der Recherche für einen Artikel“) in einfache Welten eintauchen. In Welten, in denen einem schwierige Dialoge wie „Auuuh! … Auuuh!“ – „Jetzt oder nie ...“ – „Hilfe! Hilfe!“ (Tim und Struppi, in: „Die Zigarren des Pharaos“) oder Lassies hundertster Versuch, den Heimweg doch noch zu finden, intellektuell und emotional alles abverlangen.

Inmitten des Eltern- und Erwachsenendaseins sind solche Momente leider viel zu kurz. Bald schon dringt wieder der Ruf „Hunger!“ durch die Wohnung. Ein Abendessen will gerichtet, ein Schulranzen gepackt, ein Pflaster aufgeklebt sein. Was können Eltern und Kinder gemeinsam tun, um für eine verlängerte Kindheit aller Beteiligten zu sorgen? Sollten wir noch mehr über Fußball reden? Über Comics? Über Erfindungen, auf die selbst Daniel Düsentrieb neidisch wäre? Was sagt eigentlich Kapitän Haddock dazu?

Und siehe da: Alle Tim-und-Struppi-Hefte sind weg. Ein Kind hat sie in sein Zimmer geschleppt und verweigert uns die Teilhabe an der Glückseligkeit. Wo, verdammt, ist Lassie, wenn man sie mal braucht?

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Jahrgang 1969, Leitender Redakteur des Amnesty Journals. War zwischen 2010 und 2020 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997.

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