Kolumne Darum: Verlorene Liebesmüh

Es ist anstrengend, einem rasenden Kind ruhig zu vermitteln, dass man nicht immer gewinnen kann. Manchmal möchte man laut schreien – vor Wut.

Schach bedeutet auch, die eigene Wut in Schach zu halten. Bild: photocase/madeleine308

Mit Rumschreien haben wir es zu Hause nicht so. Doch es gibt Ausnahmen. Einer verliert die Nerven oder einer verliert beim Spiel. Schach, Fußball, Monopoly – verlieren ist schwierig. Geboren in Siegen („Was ist schlimmer als verlieren?“) und schon jung in linken Gruppen gelandet, habe ich früh den Charme der gepflegten Niederlage schätzen gelernt.

Eine der letzten Gewissheiten des Linksseins ist ja, sich auf Augenhöhe mit Verlierern einzulassen, sich ihre Sache zu eigen zu machen und je nach Spielart des Linksseins eine Spielneuansetzung mit fairen Regeln zu fordern (reformistisch) oder als Spielverderber auf den Abbruch des Ganzen hinzuarbeiten (revolutionär).

Ich bevorzuge schon länger die reformistische Variante, der Sohn schwankt je nach Spielsituation zwischen revolutionär und reformistisch. Und genau dort kommt, wie bei Revolutionen üblich, eben Geschrei ins Spiel. Verlieren fällt jedem Kind schwer.

Kinder sind in ihrer Wahrnehmung radikal ichbezogen und totalitär. Eine Niederlage beim Fußball kommt einer Ichkrise gleich, zumindest für 20 Minuten bis 20 Stunden oder wie lange es braucht, bis es ein Eis gibt. Fast jedes Kind kommt darüber hinweg, lernt also mit der Zeit, mit Niederlagen zu leben.

Das Problem ist, dass ich aus einer Spielerfamilie komme – Karten, Würfel, Spielautomaten. Die Großmutter verjubelte noch mit weit über 70 Jahren einen Teil der Rente am einarmigen Banditen. Wenn sie verlor, verhielt sie sich wie eine Siebenjährige. Als Linke stellen wir zu Recht die Macht der Genetik infrage. Doch Zweifel bleiben. Deswegen bin ich besorgt und rede mit dem Sohn nach Niederlagen, wieder und wieder, teilweise mehr, als es nötig und gut ist, während er mich dabei anschreit.

Kindsdienstverweigerung nicht möglich

Ratlosigkeit macht sich breit. Ich habe den Wehrdienst verweigert, weil ich mich nicht von tumben Vorgesetzten anschreien lassen wollte. Nun schreit mich ein Kind an, eine Kindsdienstverweigerung aber gibt es nicht. Es ist anstrengend, einem Rasenden ruhig zu vermitteln, dass man nicht immer gewinnen kann. Die Großeltern lassen ihre Enkel gern gewinnen.

Also ist es an uns Eltern, den Kindern Niederlagen zuzufügen, aus denen sie lernen sollen. Auch macht der eigene Sieg keinen Spaß mehr. Das ganze Spiel macht keinen Spaß mehr, weil man weiß, was kommen kann. So also fühlt sich der Reaktionär im Angesicht des Revolutionärs – und der Reaktionär bin plötzlich ich.

Im Sportbuch „Vierter“, herausgegeben u. a. vom taz-Kollegen Julian Weber, lese ich: „Vierter ist das Synonym für alle, die es nie aufs Siegertreppchen schaffen, für die Sport allerdings ein wichtiger Fixpunkt in der Biografie ist. Ein Synonym für Begeisterung und Leidenschaft am Sport, egal was am Ende dabei herausspringt.“ Ergänzen wir Sport um Spiel, ist damit vieles von dem gesagt, was es beim Verlieren zu wissen gibt.

Doch damit brauche ich dem Spielverlierer zu Hause gar nicht erst zu kommen. „Ich weiß schon, was du mir jetzt sagen willst“, blafft er mich nach dem Schach an, „dass Verlieren nichts Schlimmes ist. Aber darum geht es jetzt nicht. Ich bin einfach wütend!“

Nicht mal mehr zum Verlieren darf ich was sagen. Ich begreife das als Niederlage. Und könnte schreien vor Wut.

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Jahrgang 1969, Leitender Redakteur des Amnesty Journals. War zwischen 2010 und 2020 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997.

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