Kolumne Das Tuch: Die weißen Israeliten

Ich wollte eigentlich nur einen Wickelrock kaufen und stehe plötzlich mitten im Nahostkonflikt.

In Paris habe ich mich verliebt. In einen Kikoi, einen ostafrikanischen Wickelrock. Zusammen mit zwei Freundinnen bin ich in einem afrikanischen Tücherladen und bewundere die vielen Stoffe. Der Ladenbesitzer nickt uns zu. Er ist vielleicht fünfzig, etwas rundlich, trägt eine bunte Stoffkappe und hat ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Wir lächeln zurück.

Während ich mir den Kikoi um die Hüften wickle, spricht Maya mit dem Ladenbesitzer. "Er ist jüdischer Marokkaner!", übersetzt sie. Sofort frage ich ihn: "Wie ist das Verhältnis zwischen jüdischen und muslimischen Marokkanern?" Lächelnd hält er den Daumen hoch. "Sehr gut. Sehr gut. Wir sind alle Brüder. Ich bin Marokkaner, hundert Prozent Marokkaner", erklärt er in gebrochenem Englisch. Ich erfahre, dass seine Vorfahren damals vor der spanischen Inquisition nach Marokko geflohen sind. Ich würde gerne weiterfragen. Dazu kommt es aber nicht.

Was der Besitzer erzählt, erinnert Maya an eine Theorie, die wir kürzlich in einem Comic über Palästina lasen: Nicht die Religion, sondern die ethnische Herkunft von "weißen" Israeliten sei Grund für die rassistische Politik Israels. Juden aus Nordafrika seien unvoreingenommener gegenüber Palästinensern. "Wären alle in Israel so wie der Verkäufer, könnte man dort in Frieden leben", sagt Maya zu mir.

Beim Schlagwort "Israel" richtet sich der Verkäufer auf. "Israel?" Eben noch freundlich, ist er nun angespannt. Er möchte eine Übersetzung, Maya kommt dieser Bitte nach. Er antwortet sichtlich erbost. Ich verstehe nicht viel Französisch, aber genug: Die Araber hätten so viel Land und die Juden wollten nur ein bisschen Platz zum Leben.

"Es ist das Heimatland der Palästinenser", entgegne ich. "Keiner darf sie dort verjagen." Wir diskutieren. Siedlungen, Menschenrechte, die UN, Rassismus und Freiluftgefängnisse. Der Nahostkonflikt auf dem Ladentresen. Maya übersetzt. Manchmal stockt sie, weil sie nicht will, dass die Situation eskaliert.

"Nein, ich möchte alles wissen", fordert der Verkäufer sie dann auf. Einmal sagt er etwas auf Französisch, woraufhin Maya entrüstet und schnell antwortet. Nun schaltet sich auch Mathilde ein, legt mir ihre Hand auf den Rücken. Wir sollten lieber gehen. Wir machen uns auf den Weg zum Ausgang.

Will ich mein Kikoi immer noch haben? Der Verkäufer sieht mein Grübeln und nimmt mir die Tüte aus der Hand. "No problem, no problem", wiederholt er. Während er das Tuch aus der Tüte nimmt, sagt Maya zu mir: "Toll, jetzt sind wir Antisemiten."

Mich trifft das tief. "Sag ihm, ich habe kein Problem", raunze ich. "Er hat anscheinend eines." Kritisch kuckt mich der Verkäufer an. Dann lacht er freundlich, auf einmal wäre es ganz leicht, zu der friedlichen Stimmung von vorhin zurückzukehren.

Aber ich will das Thema Palästina nicht so schnell zu den Akten legen und bitte Maya um eine letzte Übersetzung: "Kein Land auf dem Blut eines anderen." Der Verkäufer lacht und sagt: "inschallah, inschallah."

Später sitzen wir auf einer Wiese. Ich lege das große Kikoi-Tuch um meine Schultern. Es fängt an zu regnen. Das Tuch wird nass. Es ist schwer.

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