Kolumne Der Zuckerberg Teil 20: Anfeindungen im Sekundentakt

Jeder schreibt sich heute jeden Pups, der ihm quersteht, öffentlich von der Seele. Waren die Menschen vor dem Internet eigentlich auch schon so böse?

Eine Frau zeigt den Mittelfinger

Virtuelle Stinkefinger fliegen uns im Netz sekündlich um die Ohren Foto: Unsplash/Dollar Gill

„Hüte dich vor Leuten, die ihren Wikipedia-Eintrag selbst verfasst haben.“ So oder so ähnlich soll bereits Titus Vestricius Julius Cäsar gewarnt haben. Damals waren sämtliche Comments noch in Stein gemeißelt, doch Cäsar erinnerte sich fatalerweise trotzdem erst wieder an die Warnung, als ihm die Trolle schon die Messer in den Rücken rammten.

Heute sind Botschaften schnelllebiger. Absurdeste Anfeindungen fliegen uns im Sekundentakt um die Ohren. „Waren die Menschen vor dem Internet eigentlich auch schon dermaßen dumm und böse?“, frage ich meine Freundin. Sie meint, wahrscheinlich schon, man hätte es nur nicht so mitbekommen, weil sie eher so wie in „Gefährliche Liebschaften“ Leserbriefe voller Tintenkleckse an Redaktionen geschrieben oder Rattengift in Bonbons injiziert hätten. Die meisten aber hätten einfach nur stumm mit den Zähnen geknirscht.

Nun aber schreibt sich jeder Paranoiker jeden Pups, der ihm quersteht, sofort, öffentlich und an alle von der Seele. Manchmal fühlt man sich zu einer Antwort gezwungen, insbesondere, wenn man auf Facebook gerade hinterrücks gestabbt wird. Blöd nur, wenn man im Urlaub ist und sich erstens eigentlich erholen wollte von dem Scheiß zu Hause und zweitens nur sein Mäusekino dabei hat.

Es macht echt keinen Spaß, mit den dicken Fingerchen auf dem Smartphone herumzutapsen. Das ist auch typisch für Leute meines Alters – unsere Finger und Gehirne sind genetisch noch nicht verändert. Die Hände sind noch Werkzeuge, um Bäume zu fällen und Schützengräben auszuheben; der Kopf muss halt den Helm tragen. „Du textest wie ein alter Mann“, hat mal eine jüngere Kollegin festgestellt, und sie meinte nicht den Inhalt oder Stil. Sie hatte mir nur dabei zugesehen, wie ich eine SMS tippte.

Facebook. Ein alter Hut zwar, doch mit vielen bunten Federn. Angesichts der versammelten Pracht von Schreiadler, Vollmeise, Schluckspecht, Trollvogel sowie praktisch sämtlichen Kauzarten, soll diese Serie für den nötigen Durchblick sorgen.

Ich dann so: „Hauptsache, ich ficke nicht wie ein alter Mann, du Maus“, wie es unter Kollegen eben üblich war. Und sie dann so: „Das muss ich mir zum Glück nur vorstellen, wenn ich unbedingt ein Brechmittel brauche.“ Frechheit. Einmal mehr war es bedrückend zu erleben, wie gründlich #MeToo jedes spielerische Element aus dem Umgang zwischen Mann und Frau getilgt hatte. Da haben sie schon völlig recht, die Wedels und Weinsteins, Flaßpöhlers und Deneuves: Wer soll denn jetzt die Kinder machen? Übrigens finde ich ja eher, dass ich texte wie ein Adler: kreisen und zustoßen.

Genau genommen, sagt meine Freundin dann noch, waren die Leute früher sogar noch dümmer und böser. Und die hätten massenweise Menschen umgebracht, eben weil sie nicht in der Lage waren, ihren Frust über Hasskommentare im Netz abzulassen. Auch doof irgendwie.

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Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.

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