Kolumne Der rote Faden: „Welch Schande, wie naiv du bist“

Warum „House of Cards“ gucken, wenn die Realität um Boehner, Clinton und Obama ähnliches Potenzial hat? „The Real House of Cards“, Folge eins.

Der Schauspieler Kevin Spacey ist in einem Anzug zu sehen

Der Weg zur Macht ist gepflastert mit Leichen – keiner weiß das besser als Kevin Underwood, den Kevin Spacey in „House of Cards“ spielt. Foto: David Giesbrecht/Netflix via AP

Drei Staffeln „House of Cards“, bei Netflix ab 7,99 Euro pro Monat. Binge Watching zum Preis von zwei Kaffee zum Mitnehmen. Die vierte Staffel der Serie über Macht und Moral im US-Kongress und dem Weißen Haus wird schon gedreht. Aber warum Geld ausgeben, um Kevin Spacey als Frank Underwood Intrigen spinnen zu sehen, wenn die Realität ähnliches Potenzial hat? Suchtfaktor inklusive: „The Real House of Cards“, Staffel eins, Folge eins.

Auftaktszene: Das Kapitol. John Boehner verkündet überraschend seinen Rücktritt vom Amt als Präsident des Repräsentantenhauses. Alle Kameras und Mikrofone auf Boehner: Nachrichten, Spekulationen, Skandal! Fünf Jahre lang hatte der Republikaner diesen Machtposten inne, nach dem Vizepräsidenten wäre es Boehner gewesen, der im Fall der Fälle den Präsidentenposten bekleidet hätte. Hätte, hätte. Doch Boehner gibt auf, geschlagen.

Hinter den Kulissen: der rechtskonservative Flügel der Republikaner. Sie jubeln, denn sie haben Boehner aus dem Amt getrieben. Er war ihnen nicht rechts genug. Gescheitert an der eigenen Partei, ein schöner Twist. Und dann geht es noch um eins der emotional meist umkämpften Themen in der US-Gesellschaft: Abtreibung. Auch in „House of Cards“ stehen die „Pro Life“-Fanatiker vor dem Anwesen der Underwoods. Die Realität kopiert die Serie.

In dieser Realität ist Boehner nicht gerade als ausgewiesener Liberaler seiner Partei verschrien, hat aber Forderungen der Rechten nicht nachgegeben. Sie wollen verhindern, dass im neuen US-Haushalt weiter Geld an die Organisation Planned Parenthood fließt, die neben Gesundheitsbetreuung auch Abtreibungen durchführt. Boehner hatte versucht, einen Konsens für den Haushaltsplan zu erarbeiten, damit das Land handlungsfähig bleibt. Konsens? Bedeutet Machtverlust.

Szene zwei:Boehner ist aus dem Weg geräumt, doch was folgt daraus für die Republikaner? Carly Fiorina, einzige Frau im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Partei, schickt eine Mail: „Schließ dich uns an: Verteidige das Leben!“ Fiorina inszeniert sich in der Frage „Pro Life“ versus „Pro Choice“ als Kämpferin für das Leben. Klare Botschaft, Emotionalität verkauft sich. Wird aber nicht reichen für die Macht. Es gibt nicht nur die Rivalen in den eigenen Reihen, sondern auch die eigentlichen Gegner.

Szene drei: Zu Beruhigung ein Nebenerzählstrang; Protagonisten: die Demokraten. Mehr als einen Sidekick geben sie gerade nicht her. Hillary Clinton versucht verkrampft, ihren Wahlkampf-Groove zu finden. Dafür nimmt sie an der College-Tour der Katzen-Bilder-Webseite Buzzfeed teil. Die wollen mit Nachrichten ihre App pushen. Vielleicht pusht es auch Clinton bei jungen Wählern.

Bernie Sanders spielt derweil die Establishment-Karte gegen die Clinton-Dynastie: „Die amerikanischen Bürger haben die etablierte Politik, die etablierte Wirtschaft und die etablierten Medien satt“, twitterte er. Ein paar Hundert Retweets gab es dafür. Doch so wie die Tea-Party-Fanatiker zu rechts sind, ist Bernie Sanders zu links, um es ganz nach oben zu schaffen. “Der Weg zur Macht ist gepflastert mit Heuchelei und Leichen.“– Frank Underwood.

Nicht mal in die erste TV-Debatte der Demokraten wird es Lawrence Lessig schaffen. Der Harvard-Professor wird nicht einmal in den Umfragen mit aufgelistet. Er müsste aber in drei Befragungen mindestens ein Prozent Wählerzustimmung bekommen, um bei CNN im Scheinwerferlicht stehen zu dürfen. Sein Problem: Lessig hat nur ein Thema. Die Reform der Finanzierung von Wahlkämpfen. Kein Serienstoff, nicht vermittelbar, viel zu idealistisch, Geld regelt die Machtverhältnisse in Washington. Sorry, Mr Lessig. Der Charakter wird sterben. „Welch Schande, wie naiv du bist.“ – Claire Underwood.

Szene vier: Macht, das Oval Office. Fiorina, Clinton, sie wollen dorthin, wo Obama ist. 400 Tage lang ist er noch an der Macht – und zieht in dieser Woche einmal mehr alle Aufmerksamkeit auf sich. 90 Minuten Gespräch mit Russlands Präsident Putin, frostiger 3-Sekunden-Handschlag inklusive – Inszenierung muss sein. Für Obamas Geschichtsbuchwar‘s nichts. Syrien, die Nahostpolitik, das wird ein Makel bleiben in seiner Machtbilanz.

Die Cliffhanger: Putin spricht vor der UNO und lässt kurz darauf Luftangriffe auf Syrien fliegen, eine Machtdemonstration. Wie wird der „mächtigste Mann der Welt“ reagieren? Wer ist Kevin McCarthy, möglicher Nachfolger von Boehner? Kann er die Republikaner zur Disziplin zwingen? Scheitert Clinton an sich selbst? Und was macht eigentlich Donald Trump?

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Jahrgang 1980, studierte Journalistik und Amerikanistik an der Universität Leipzig und der Ohio University. Seit 2010 bei der taz, zunächst Chefin vom Dienst, seit Juli 2014 Leiterin von taz.de. Schreibt schwerpunktmäßig Geschichten aus den USA.

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