Kolumne Die eine Frage: Wowi ist das schön

In Berlin steht die Abgeordnetenhauswahl an – und die Grünen haben nicht weniger als vier Spitzenkandidaten. Was ist der Masterplan?

die vier Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der Berliner Grünen, Antje Kapek, Daniel Wesener, Bettina Jarasch und Ramona Pop, halten ein Schild, auf dem steht: "Alles auf Grün"

Nicht Spitzenkandidatin ist jedenfalls Renate Künast Foto: dpa

Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus und zum Regierenden Bürgermeister von Berlin müssen wir Hauptstädter am 18. September zwischen vier Spitzenkandidaten allein von den Grünen unterscheiden. Was mache ich, wenn ich eine gut finde und drei andere nicht?

Jetzt könnte man sagen: Du musst sie gar nicht unterscheiden können, sie stehen ja alle für dasselbe. Aber wozu sind es dann vier? Doch wohl nicht, damit man sie eben nicht unterscheiden kann und am Ende von keiner und keinem den Namen kennt. Geschweige denn weiß, was sie alle so wollen und planen.

Oder ist genau das der Plan? Wenn ich die Grünen richtig verstehe, bestand ihr Problem bei der letzten Wahl ja darin, dass man ihre Spitzenkandidatin in der ganzen Stadt kannte. Und deshalb sagte: Also, die Künast wähl' ich auf keinen Fall.

„Da müssen wir ran“ klang nach Zahnarzt

Renate Künast hatte 2011 Veränderungsbedarf in der Stadt gesehen, im Amt des Regierenden Bürgermeisters und darüber hinaus. Und daher mit dem unvergessenen Slogan gedroht: „Da müssen wir ran!“ Das klang nach Zahnarzt und dabei schaute sie auch noch wie eine Beißzange.

Jedenfalls drehten das Klaus Wowereits Wahlstrategen so hin. Da fühlte sich der sensible Berliner belästigt oder gar bedroht. Sollten hier etwa Fahrradwege gebaut und Flughäfen eröffnet werden, sollte am Ende gar die Verwaltung aufgeweckt werden, wo würde das alles hinführen? Dann doch lieber SPD.

Der damalige Amtsinhaber garantierte den Stillstand, indem er sagte, es sei praktisch alles schon super. Nach der Wahl schickte er die Grünen gnadenlos in die Opposition, um sie ein für alle mal zu lehren, dass in Berlin gestaltende Politik darin besteht, Regierungsämter zu besetzen.

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Nun sieht es aus, als hätten die Grünen Wowereits Lektion geschluckt. Ist ja auch schwierig: Es gibt auf absehbare Zeit keine Regierung, der nicht entweder SPD oder CDU angehören. Eine sozialökologisch und kulturell moderne Stadtpolitik ist im Moment nicht realistisch und strukturell nicht mehrheitsfähig. Also verhält man sich möglichst still und hofft, am Ende die Posten der CDU zu kriegen und dann im Kleinen was schrauben zu können.

Aber die Zeiten sind vorbei, in denen alles gut war, wenn halblinks statt halbrechts regierte.

Wegducken ist auch keine Lösung

Der Aufstieg der rechtspopulistischen AfD wird sich wohl am Sonntag in Mecklenburg-Vorpommern fortsetzen. Front National, FPÖ, Trump: Der zunehmende Zuspruch für nationalistische, anti-emanzipatorische, EU- und staatsfeindliche Populisten könnte dazu führen, dass die Entscheidung zunehmend nicht mehr zwischen halblinks und halbrechts fällt, sondern zwischen modern-gemäßigten Demokraten und radikalen Staatsverächtern.

Das ist eine große Gefahr. Die Grünen können sie aber nicht bannen, indem sie die SPD oder die CDU retten wollen. Es gibt echten Bedarf an einer gemäßigt-alternativen Politik, und nun braucht es vertrauenswürdige und mehrheitsfähige Grüne Politiker, die bereit und in der Lage sind, durch Streit, aber auch durch Kompromissbereitschaft gesellschaftliche Mehrheiten für zukunftsweisende oder krisenlindernde Politik zu gewinnen: nicht nur für Fahrradwege, für das ganze Gemeinwesen, für die EU, für eine Überwindung des IS, für eine offene und emanzipierte Gesellschaft.

Die charismatische und vertrauenswürdige Person, die auf dieses große Ganze verweist: Daraus wurden in Österreich 50,3 und in Baden-Württemberg 30,5 Prozent.

Das konnte man sicher nicht auf Berlin übertragen. Aber wegducken ist auch keine Lösung und hält die Gesellschaft definitiv nicht zusammen.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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