Kolumne „Fast Italien“: Alles munich

Ein bürokratischer Datumsirrtum: Ein Geiger und ein Trompeter sind sensibel – und bringen die Menschen auf dem Münchner Marienplatz aus dem Tritt.

Das Rathaus am Münchner Marienplatz im Sonneschein, davor Passanten im Schatten

Blauer Himmel über dem Rathaus am Münchner Marienplatz Foto: dpa

Aloisius sitzt im Hofbräuhaus, trinkt a Maß. Die Bayerische Staatskanzlei erstrahlt weißblau gen Himmel in dem Glauben, dass man sie auch vom Mond aus sieht. Und am Marienplatz verfolgen Tausende Touristen entzückt das blecherne Glockenspiel.

Alles wie gehabt. Alles munich.

Schrotti und ich sind in der Fußgängerzone unterwegs, schieben uns schnaubend durch die dampfende Masse. Es ist heiß, es ist stickig. Die Stimmung ist verbal, kleinste Berührungen ziehen derbe Schimpfkanonaden nach sich. Schrotti und ich sind nicht wetteranfällig. Wir ziehen unberührt weiter, bis Schrotti unter dem alten Rathausturm stoppt.

Ein Geiger und ein Trompeter imponieren einander. Ihre Instrumente wirbeln durch die Luft wie Morgensterne, immer bedrohlich knapp am Gegner vorbei. Sie streiten nicht, sie argumentieren, wedeln preußisch-forsch mit ihren Genehmigungen der Stadt München, hier und heute spielen zu dürfen. Stellen fest: ein bürokratischer Datumsirrtum.

Falschanschuldigung

Die Musikusse erröten ob ihrer Falschanschuldigung, sind augenscheinlich sensibel. Sie ziehen sich zurück, jeder auf seinen Platz. Sie sondieren sich, den Gegner im Visier, darauf wartend, dass der andere das Feld räumt. Keiner räumt das Feld. Der Trompeter verliert als Erster die Nerven, spuckt auf den Boden, trompetet jerichomäßig drauf los. Der Geigenspieler zieht zeitgleich seinen Bogen. „?“ Versus „?“. Ein unsägliches Klanggewitter.

Der Rathausturm wird zur atonalen Ein- und Ausgangsschneise vom Marienplatz. Die Leute spazieren hier durch, zielstrebig, markenorientiert – normalerweise. Jetzt stopfen sie sich die Ohren zu und rennen drauflos, so mancher gegen eine menschliche Wand. Ein Blinder mit Stock und eine Alte mit Gehwagen mittendrin.

Der Blinde führt seinen Stock von links nach rechts und umgekehrt. Der Stock trifft auf die Alte, die ihren Gehwagen zügig nach vorn treibt. Der Gehwagen bringt den Blinden zu Fall. Die Musikusse verstummen. Die Leute gaffen.„’Tschuldigung“, sagt die Alte, „ich hab Sie gar nicht gsehen bei dem Lärm.“ – „Ich Sie auch nicht“, antwortet der Blinde und lächelt. Die Leute helfen dem Blinden auf. Die Alte zuckelt unbeirrt weiter. Die Musikusse machen einen Deal, sie musizieren miteinander.

Schrotti und ich haben, was wir brauchen. Es ist 17.45 Uhr. Der Kiez ruft. Wir radeln in die Donnersbergerstraße, ich mit wehenden Haaren. Zeit zu piaceren.

Schmerzmittel

Schrotti hatte keinen Platten seit den Siebzigern. Dieses Klapprad rollte unaufhaltsam. Wenige Meter vor unserem Ziel bricht Schrotti entzwei. Wir beide landen im Rinnstein. Adrian und Diego helfen uns auf, lehnen Schrotti 1 und 2 an die Wand. Tutto bene?, fragt Die­go. Si, sage ich. Ich humple, habe Kopfweh, was zum Wetter passt. Adrian und Diego schultern mich.

Ich sitze auf der Terrasse im Piacere, habe ein Schmerzmittel in Form einer Flasche Rotwein vor mir stehen. Adrian kümmert sich um seine Gäste, und Diego meint, er kenne einen, der Schrotti wieder zum Leben erwecken kann. Salute, sagt er und stößt mit mir an.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.