Kolumne Flimmern & Rauschen: Der die Wochenschau sezierte

Geschichtsprofessor Heinrich Bodensieck war einer, der es verstand, die Medien zu erklären – und zwar präzise und hanseatisch kühl.

Schriftzug schwarzweiß: "FOX Tönende Wochenschau"

Logo der „Wochenschau“. Bodensieck durchdrang die Mediengeschichte Deutschlands Screenshot: YouTube

Der Mann trug an britische Reservisten gemahnende Pullover – aber natürlich in Blau – und sprach norddeutsch. Aus der Gegend von Kiel. Und er konnte einen zur Verzweiflung bringen, wenn er morgens im Seminar als Erstes sagte: „Letzte Woche, beim Tafelbild, da hab ich Ihnen bei der Wochenschau zur Nachfolgediskussion um Stalin etwas Falsches angeschrieben. Das war ein Donnerstag, kein Mittwoch.“

Erraten – die Geschichte ist schon etwas länger her (Tafelbild!) und spielt an der Uni, wobei wir die Wandzeichnung der vergangenen Woche natürlich längst vergessen hatten. So konnte keiner wirklich was mit der präzisen Teilkorrektur anfangen – außer ihm: Heinrich Bodensieck, Professor für neuere und neueste Geschichte an der Uni Dortmund nahm’s genau und fotografierte nach jeder Sitzung seine Tafelbilder, auch wenn es noch gar keine Digitalkameras gab.

Warum nun hier von ihm die Rede ist? Weil es bei ihm flimmerte und rauschte. Bodensieck war den Medien, ihrer Rolle in Zeitgeschichte und Politik verfallen. Sein Steckenpferd war die Wochenschau, also die Kinonachrichten, ohne die man sich Form, Funktion und Ansprechhaltung der „Tagesschau“ bis heute nicht erklären könnte.

Ihre Rolle im Dritten Reich und im Ost-West-Konflikt waren Bodensieck Herzensangelegenheit. Nicht akademisch verstaubt, sondern möglichst authentisch. Und so saßen wir immer wieder in einem fast fensterlosen Gelass mit Projektionsmöglichkeit und spielten Kino. Die perfide, ja perverse Ideologie und Wirkung der angeblich so unverfänglichen „Feuerzangenbowle“ erschließt sich eben am besten aus der Großdeutschen Wochenschau zur Kinopremiere im Januar 1944.

Ansteckende Begeisterung

Und wie konnte er sich ereifern, dass er UFA-Filme aus der NS-Zeit auch zu wissenschaftlichen Zwecken für verhältnismäßig stolze Summen bei der bundeseigenen Murnau-Stiftung ausleihen musste, die die von den Alliierten 1945 indizierten Filme bis heute verwaltet. Während dieselbe Stiftung dem rechtsradikalen Presseklub des Dr. Frey gestatte, die meisten dieser Propagandafilme als VHS für kleines Geld über seine National-Zeitung zu verschleudern.

Bodensieck war auch ein großer Kenner der DDR-Presse, einmal war er einer kleinen Weltsensation beim SED-Hauptblatt Neues Deutschland auf der Spur, doch dann kam die Wende und dem zu Forschungszwecken in Berlin weilende („Nur mein Hüftleiden hielt mich ab, selber auf die Mauer zu klettern“) Bodensieck blieb die große Beachtung erspart.

Er hat sie auch nicht wirklich gebraucht, er, der ehemalige Volksschullehrer im Hochschuldienst: So viel ansteckende Begeisterung, Erklärbegabtheit und hanseatisch-unterkühlten Witz gab es selten. Nun ist Heinrich Bodensieck im Alter von 88 Jahren gestorben. Und weil keine Wochenschau dazu was machen wird, steht es hier.

Medienprofi Steffen Grimberg (früher taz, NDR und ARD, jetzt MDR) bringt jeden Mittwoch Unordnung in die aufgeräumte Medienwelt.

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2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"

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