Kolumne Flimmern und Rauschen: Ein #MeToo-Rückblick mit Schieflage

Die WDR-Fernsehchefin Sonia Mikich hat in einem Text in der FAZ #MeToo analysiert. Dabei lässt sie einen ratlos zurück.

Eine Frau in schicker Kleidung arbeitet an einem Laptop

Zu schick für eine Gehaltserhöhung, zumindest in den Augen mancher Männer Foto: Unsplash/ Rawpixel

Sonia Mikich hat am Dienstag in der FAZ einen bemerkenswerten Text geschrieben. Was da als „persönlicher Rückblick“ auf #MeToo und die Aufarbeitung von Vorwürfen sexueller Übergriffe und Belästigungen im WDR steht, lässt einen ratlos zurück: Mikich, die beim WDR volontierte und dann ihr gesamtes Berufsleben bei der größten ARD-Anstalt verbrachte – zuletzt als Chefredakteurin Fernsehen –, macht keinen Hehl aus ihrer eigenen, klar feministischen, wenn auch etwas in die Jahre gekommenen Position.

Doch durchzieht ihre Bilanz gleich auf zwei Ebenen große Skepsis: Zum einen, ob da wirklich etwas angekommen ist beim Sender, der auf den Untersuchungsbericht der ehemaligen ÖTV-Vorsitzenden Monika Wulf-Mathies in einer Mischung aus Demut und Erschrecken reagiert hatte: „Ziemlich sicher der Beginn eines ernst gemeinten Kulturwandels“, sei das gewesen, schreibt Mikich – ziemlich sicher. Ganz überzeugt hört sich das nicht an.

Denn natürlich kennt Mikich die Macht des Systems mit Blick auf weibliche High Potentials: Wie Gehaltsverhandlungen mit Bemerkungen garniert wurden, sie sei „doch immer gut angezogen“, wozu brauche sie mehr Geld?

Oder dass ein von Mikich und Petra Lidschreiber entwickeltes Politmagazin „sphinx und Co – von Frauen für jedermann“ 2001 zwar als beste TV-Innovation ausgezeichnet wurde, aber über zwei Sendungen nie hinauskam. Dass, wie Mikich schreibt, die beiden Journalistinnen vom angepissten Herrenclub als „Quotzen“ bezeichnet wurden, passt da gut ins Bild.

Merkwürdige Schieflage

Zum anderen ist da das Hadern mit dem Umständen der Aufklärung: Mit der Gerüchteküche, mit dem Problem anonymer Hinweise und Vorwürfe, mit dem nicht auflösbaren Interessenkonflikt zwischen dem Persönlichkeitsschutz der Geschädigten wie der (möglichen) Täter. Und hier gerät Mikich in eine merkwürdige Schieflage.

„Gerüchte sind falsche Freunde“, schreibt sie, „und zero tolerance heißt nicht zwingend, dass jemand entlassen wird.“ Es geht um die „Skepsis, dass Bauchgefühle absolut gesetzt wurden“, und dass bei der Berichterstattung anderer Medien „sowohl Wahrheitssuche als auch Häme im Spiel“ waren: „Suggestivfragen der Kritiker standen in meiner Sicht zu oft an erster Stelle, Fakten und Stellungnahmen störten nur“ – da klingt Verletzung durch, die angesichts der Kommunikationspolitik des WDR nicht nur zu Beginn der Debatte im April 2018 unangemessen ist.

Stutzig machen auch Aussagen wie „Vorgesetzte dürfen (…) nicht zu Helikoptereltern mutieren“, die „Schutzbefohlenen“ müssten sich ja auch im privaten Alltag durchsetzen. Schutzbefohlene? Da dünkelt’s gewaltig. Denn auch Mikich und ihr Vorgesetzter Jörg Schönenborn waren Teil des Systems.

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2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"

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