Kolumne „Immer bereit“: Berlin ist wie eine Zimtschnecke

Besuch ist immer gut. Denn es ist irrsinnig spannend, mit Touristen in seiner Heimatstadt unterwegs zu sein – weil die Berlin mit anderen Augen sehen.

„You must see Karl-Marx-Allee“: dort blühen Mitte April die Osterglocken Foto: dpa

|Ich hatte Besuch aus Schweden. Wir trafen uns an der Weltzeituhr. Ich liebe es, mich an der Weltzeituhr zu treffen. Ich fühle mich dann immer wie eine fleißige Jungpionierin, die einen Aufsatz im Fach Heimatkunde schreibt.Sabina war da. Vor vielen Jahren hat sie mal einen Sommer bei mir gewohnt, um Deutsch zu lernen. Deutsche Grammatik lernte sie an der Humboldt-Universität, aber die wirklich wichtigen Vokabeln brachte ich ihr bei: „Morgenlatte“, „Mädchenbier“, „Hau ab, du Lappen!“ Was man eben so braucht, um als rotgelockte Schwedin Mitte zwanzig einen Sommer in Berlin zu genießen.

Diesmal hatte sie noch zwei Schweden im Schlepptau, wegen des Halbmarathons. Ursprünglich hatte Sabina mitrennen wollen, aber dann waren letzten Winter doch die Zimtschnecken zu lecker und das Sofa zu weich. Ich weiß schon, warum ich Sabina so mag.

„You must see Karl-Marx-Allee“, erklärte ich ihren Freunden an diesem sonnigen Samstag. Wir standen bei Tchibo am Alexanderplatz und tranken Kaffee. Zwar gab es etwa zehn Tische mit Stühlen drum herum und an jedem Tisch mindestens zwei freie Stühle, aber alle freien Stühle wurden sämtlich von irgendwelchen dicken Muttis und Vatis bewacht, die ihre Halstücher, Handtaschen und Regenschirme darauf verteilt hatten. „Nie, da gömmt gleisch noch wär!“, nuschelte eine Muddi. Es war wirklich wie früher.

Touristen sehen anders

„This is so german!“, schimpfte ich, als ich wieder bei den Schweden war. Sabinas Freundin lachte und aß einen Pfannkuchen. „Ah, Berliner“, sagte Sabina und meinte das Gebäck. „Sabina!“, rief ich empört. Sabina verdrehte die Augen und erklärte ihren Freunden auf Schwedisch. „Sie haben da so einen Fetisch mit diesen Dingern, die Berliner.“ – „Ey“, rief ich, „ich kann dich verstehen.“ Und Sabina sagte: „Ja, ja.“

Es ist irrsinnig spannend, mit Berlin-Touristen unterwegs zu sein. Sie sehen die Stadt anders. Von außen. Sie haben andere Assoziationen. Wenn ich in eine fremde Stadt reise, habe ich immer Angst, die Einheimischen zu belästigen. Als Touristin fühle ich mich immer schuldig. Ich habe immer Angst, wie ein dummer europäischer Entdecker in ein fremdes Ökosystem einzudringen und irgendwas kaputt zu machen. Eine Rosensorte niederzutrampeln, die nur an der Stelle blüht, oder meinen Kaffeebecher aus Versehen auf einem 2.000 Jahre alten Pergament auszukippen.

Vermutlich hat es mit meiner Prägung zu tun als Ostberliner Kind in den Neunzigern, wenn ich Frieda besuchte, die damals mit ihrer Mutter in einer Wohnung am Hackeschen Markt wohnte, wo man sich ständig durch Menschengruppen durchdrängeln musste, die alle Eingänge versperrten, weil sie die Deckenmalereien in den Treppenhäusern fotografierten.

Wenn ich Touristin bin, suche ich immer den Eingang, die Insider-Variante, den Blick hinter die Fassade. Ich glaube, ich habe jetzt erst begriffen, was der Begriff „Insider“ überhaupt bedeutet.

Touristen unter sich

Sabinas Freunden ging es gar nicht so. Sie nahmen das Bild dankbar an, das Berlin von sich selbst nach außen präsentiert, und hinterfragten es nicht. Sie fanden Mitte und das Mauer-Museum an der Bernauer total geil und ich dachte immer: „Hä? Ihr habt doch noch kein Stück von Berlin gesehen!“

Es war so irre, sich im Außenbereich der eigenen Stadt zu bewegen, den Präsentationsräumen, dem Show-Room. Die Touristen sind dort komplett unter sich.

Schwitzende Teenagergruppen, die ohne Ton kaum zu unterscheiden gewesen wären, erklommen mit piepsenden Handys die Treppe zur Aussichtsplattform am ehemaligen Todesstreifen, schossen kurz ein Selfie und trampelten schnatternd wieder runter. Ich stand fasziniert mittendrin und guckte zu. Irre neue Welt!

Sabina und ich gingen abends noch auf eine Geburtstagsparty in Kreuzberg. Die Läufer brauchten ihren Sportlerschlaf. „Hier hätten wir sie herbringen müssen!“, sagte ich zu Sabina, nachdem ich ihr beim zweiten Glas Weißweinschorle meine Inside-outside-Theorie darlegte. „Das hier hätten wir ihnen zeigen müssen!“

„Ja“, sagte Sabina weise, „aber sie waren doch nur einen Tag da. Und Berlin ist wie eine Zimtschnecke. Man muss außen beim harten, trockenen Rand anfangen und sich dann langsam nach innen vorarbeiten bis man zum klebrig süßen Kern kommt, dem Herzen von Berlin.“

„Der Marmelade im Pfannkuchen“, sagte ich. „Deswegen heißt er Berliner!“, rief Sabina. „Pff!“, murmelte ich.

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