Kolumne Jung und Dumm: Subjektkonstitution

Heuschnupfen nervt. Abhilfe schafft nur der Allergietest – auch der nervt. Außerdem soll man sich nicht die Ohren säubern. Wussten Sie das?

Die Illustration zeigt eine Nase, einen Baum und Blumen

Es kribbelt, es juckt, es niest, es schnieft, dabei ist Winter Illustration: imago/Ikon Images

Heuschnupfen ist der Tod auf Raten. Er fordert eine dementsprechende Behandlung: Spritzen, alle fünf Wochen, drei Jahre lang. Zumindest wenn die Gefahr droht, dass er irgendwann in die Lunge einkehrt, „die Etage wechselt“, asthmaartig wird – sagt der HNO-Arzt mit den durchtrainierten Mandeln (und wie ich mir immer vorstelle, dass er diese Buchstaben einmal täglich tabledancet: „H“ wie „H-Milch“, „N“ wie „Norbert“, „O“ wie „Sozialontologie“!).

Um zu prüfen, ob das bei mir zutrifft, betrete ich seine gekachelte Arztpraxis im Gutwohnbürgerviertel, zum Allergietest. Sofort werde ich in einen Raum gewiesen, soll meine Sachen und Arme ablegen. Man beträufelt mich mit akkuraten Allergenen. Dann wird mithilfe eines kleinen Eierpikers in die oberste Schicht meiner Haut „durchgestochen“. Damit die Tropfen nicht runterlaufen, darf ich die Arme fünfzehn Minuten lang nicht bewegen – so wenig Multitasking war seit dem Kindergarten nicht mehr.

Doch zum Glück fängt es fürchterlich an zu jucken, wohl eine Art Ersatz dafür, dass ich nie bei der Bundeswehr war, sagt mir eine Generalsstimme am Telefon, was komisch ist, weil ich ja gar keine Generäle kenne und auch gar nicht abnehmen kann. Eine zweite, juvenilere Patientin wird beträufelt, die Mutter lacht. Die autoimmune Dimension ist völlig neu und faszinierend für sie. Im Prinzip könnte ihr Kind ja auf alle Testpräparate allergisch reagieren, scherzt sie völlig ausgelassen.

Nun muss ich mit ausgestreckten Unterarmen, die ich wie ein Tablett manövriere, ins andere Zimmer gehen. Der HNO-Arzt tanzt etwas pferdemäßig und meint, ich solle ihn nicht kratzen. Muss er mich nun spritzen? „Wenn Sie jetzt sagen, ich habe leichtes Augenjucken und nies im Sommer drei-, viermal am Tag – dann würde ich das noch mal überlegen. Aber wenn Sie rausgehen, laufen, Fahrrad fahren, und ständig so ein Husten drinhaben und das Atmen schwerfällt und sie in der Lunge spüren“, er zieht laut keuchend Luft ein und spricht röchelnd weiter: „Ich kriege keine Luft mehr.“

Genau das hatte er die Male davor auch schon routiniert und rasch heruntergerasselt und dann alle Luft auf einmal wieder ausgeatmet. Den Atemstillstand authentisch, glänzend performt. „Ich habe da noch eine Frage: Darf man tatsächlich keine Wattestäbchen in die Ohren stecken?“ Armeen von Müttern: empört und entrüstet.

„Die sind nur zum Schminken da! Wie wollen Sie denn Ohrenschmalz rausbekommen, indem Sie es noch weiter reinschieben?“ „Und wie soll ich es stattdessen da rauskriegen?“ „Das löst sich durch die Kaubewegungen von selber.“ Von der Genialität dieser Erkenntnis bin ich einen Moment betäubt. HNO soll Schulfach werden! „Ich habe hier jede Woche zwei Leute, die sich das Trommelfell durchgestochen haben mit Wattestäbchen, heute hatten zwei Patienten Blut im Ohr.“

Wir verabschieden uns, ich verlasse die Praxis und gehe nach draußen. Mit jedem Schritt werde ich kurzatmiger. Ich kriege keine Luft mehr. Keiner ruft an. Alles ist leer. Falle um. Bleibe liegen. Blick nach Moskau.

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Seit 2015 bei der taz, zunächst als Praktikant, dann als freier Autor und Kolumnist (zurzeit: "Ungenießbar"). Nebenbei Masterstudium der Ästhetik in Frankfurt am Main. Schreibt über Alltag, Medien und Wirklichkeit.

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