Kolumne Jung und dumm: Zwischen Klapptisch und Rückenlehne

Es könnte so schön sein: Allein in der Deutschen Bahn, auf schneller Fahrt. Doch dann steigt jemand ein mit Platzreservierung und tritt die Hölle los.

Eine Frau schaut aus einem Zugfenster

Lange im Zug? Tot sind deine enggestellten Beine, zerrüttet dein Kopf Foto: Tanja Heffner/Unsplash

Grauenvolle Orte gibt es auf diesem Planeten. Solche, an denen dir glühende Läuse ins Hackfleisch gebrannt werden. An denen du dich fühlst wie ein stinkendes Klassenfahrtkind, das da nicht raus kann, aus diesem Klassenfahrtkindsein, und all die Jahre zwischendrin nur geträumt haben muss.

Und dann gibt es die Bahn – Ort des Friedens und der Ruhe, nein, vielmehr der Vermittlung schnellster Bewegung und weichgepolstertsten Schwebens auf stahlhart dahinbetonierten, durch die Landschaft gerammten Schwung- und Sausepisten, der den Glauben an das Gute im Menschen nicht völlig in Vergessenheit geraten lässt. Schau auf die nord-hinter-alt-niedersächsische Berglandsverflachung, lies ein wenig in diskriminierenden DB Mobil-Titelinterviews und belohne dich für dein gutes Betragen mit einem Keks.

All die Lackaffen mit ihrem Sänk-ju-for-Träweling-Scheißdreck, ihren öden Platzreservierungen, ihren wichtigtuerischen Abteilungsleiter-Lästereien und Ich-hab-es-doch-eh-schon-gewusst-Schnappatmereien, sobald es auch nur „fünf Minuten später“ heißt, all die nichtswürdigen und innerlich verfaulten, ganz normalen Ungeheuer, die diese Gesellschaft so unerträglich machen, sind zwar da – und du wünschst sie dafür in Hölle, Hautklinik oder auf die Autobahn –, aber sie können dir einfach nichts anhaben.

Noch nicht. Denn der Zug wird voller. Bald ist es so weit: Mit der ihm eigenen Selbstverständlichkeit setzt ein solcher Mensch sich auf den Platz nebenan und macht deine Reise zur Qual.

Platz räumen nach Mutters Art

Beklommen stopfst du den Rucksack auf dich drauf, verteilst die mitgeführte Habe auf dem engen Klapptisch und „räumst“ den „Platz“, wie es Mutter gelehrt hat. Gleich einem verwundeten Vogel suchst du ängstlich nach Halt, denkst, es müsse doch ein Menschenrecht darauf geben, zwei Plätze im Zug zu besetzen, gerätst in Panik, bis dich Müdigkeit und Einsicht übermannen. Es kann nicht mehr schlimmer werden.

Korrigiere: Es kann. Dass deine Mitbürger schrecklich sind, glaubtest du ja schon immer zu wissen; das Medium des Danebensitzens gibt dir endgültig Gewissheit. Meist ist er männlich und guckt online Brüste, worauf du mit demonstrativem „Manuel Neuer nackt“-Googling antwortest; er isst gebutterte Wurst und sieht aus wie ein böser Mensch, bereitet sich dann auf seinen wichtigen Termin mit der Kochtopfversicherung vor, wega dem er jetzt schonn mal die Bahn gnomme hot, weil des is ja an sisch gar net so schlescht.

Oder er ist, schlimmer, Berufspendler, aber eben einer von der Arschloch-Sorte, den die langen Strecken, in Verbindung mit einem für das Schöne dieser Welt nicht empfänglichen Verhorntsein, zu einem Monster haben werden lassen, das nach vergammeltem Abflussrohr riecht.

Kurz vor dem Zielbahnhof: Tot sind deine enggestellten Beine, zerrüttet dein Kopf, die Blase schmerzgequetscht. „Leider haben wir einen Triebkopfschaden und sind daher hier außerplanmäßig zum Halten gekommen“, sagt eine Durchsagerin.

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Seit 2015 bei der taz, zunächst als Praktikant, dann als freier Autor und Kolumnist (zurzeit: "Ungenießbar"). Nebenbei Masterstudium der Ästhetik in Frankfurt am Main. Schreibt über Alltag, Medien und Wirklichkeit.

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