Kolumne Leuchten der Menschheit: Im Tross der dunkel Gekleideten

Das Höfische, die Mozartkugel, das Klassensystem: Überall regiert wieder mal das Alte. So auch auf der Frankfurter Buchmesse.

Bücher und Hände, die Bücher halten

Und gelesen wird auch noch Foto: dpa

In Österreich regieren jetzt Alpha-Plus-Menschen. Die regieren mehr oder weniger aus dem Fitnessstudio, dabei sind sie sehr jung und könnten getrost noch ein paar Jahre warten, bis sie mit dem Sport anfangen. Sie sehen irgendwie geklont aus. Vielleicht liegt das aber nur an ihrem jungen Alter. Oder am vielen Sport. Aber so modern, wie sie tun, sind sie halt auch nicht.

Der Kulturminister nämlich, ich glaube, er heißt Blümel, hat auf der Buchmesse jeden einzelnen österreichischen Verlagsstand besucht. Okay, so viele sind das jetzt auch wieder nicht, aber von einem Alpha-Plus-Menschen hatte ich einfach weniger kaiserliches Traditionsgedöns erwartet. Wenigstens hat er keine Mozartkugeln verteilt, was ich angenommen hatte, irgendeinen ideologischen Kitt braucht es ja in der Gesellschaft, und die Österreicher lieben ihre Mozartkugeln. Mehr als ihren Mozart. Ging aber ganz ohne.

Der Alpha-Plus-Mensch hatte einen sehr großen Tross aus dunkel gekleideten Männern dabei. Die sahen krass aus. Also jetzt nicht so existenzialistenmäßig, sondern eher ritterlich, halt ohne Schwert. Auch ein Journalist durfte den Minister begleiten. Ein Alpha-Plus-Journalist mit Alpha-Plus-Infos. Krass. Ich habe den Alpha-Plus-Minister angequatscht und ihm eine CD von Harry Rowohlt geschenkt, die kann er dann beim Sport hören.

Er hat freundlich gelächelt und sich bedankt. Aber wahrscheinlich müssen die jetzt erst mal die ganzen Leute aus dem Alpha-Plus-Sicherheits-und-Repräsentations-Tross verhören, nicht dass der Minister einer Spaßguerillataktik aufsitzt. Die waren alle sehr nervös.

Aber Spaßguerilla ist ja jetzt die Sache von außerparlamentarischen Rechten, Kubitschek und so. Denen fällt halt nie was Neues ein.

Kaum mehr als 1.000 Euro im Monat

Am taz-Stand will ein Rechtsextremismusforscher, dass ich sein Buch rezensiere. Nachdem er mir dreimal erklärt hat, dass die anderen Rechtsextremismusforscher das gar nicht gut finden, dass er ein Buch geschrieben hat, weil sie seine Konkurrenz fürchten, habe ich beschlossen, das Buch zu ignorieren. So weit ist es schon gekommen mit der Vereinzelung, denke ich. Auch kein origineller Gedanke, aber das denke ich am selben Tag noch einmal.

Beim Suhrkamp-Kritikerempfang in der Unseld-Villa, wo ein Autor einem sehr bekannten TV-Literaturkritiker erzählt, dass er kaum mehr als 1.000 Euro im Monat zur Verfügung hat, und der Kritiker schockiert fragt: „Ja haben Sie denn keine Rücklagen?“

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Ein Leben ohne Rücklagen und ohne Erbe. Ja, da handelt es sich in Ihrem Fall aber wirklich um eine Ausnahme, Herr Autor.

Das Höfische, die Mozartkugel, das Klassensystem, überall regiert das Alte. Da ist es nur konsequent, dass sie in Frankfurt gleich wieder ihre alte Altstadt aufgebaut haben, wo die Leute in ihren Retro-Nineties-Techno-Sneakern mit ihren Retro-Eighties-Bauchtaschen rumlaufen und auf ihre neuen Smartphones schauen.

Die Zukunft spielt keine Rolle mehr.

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Redakteurin für das Politische Buch und Kultur. Jurorin des Deutschen Sachbuchpreises 2020-2022 sowie der monatlichen Sachbuch-Bestenliste von ZEIT, ZDF und Deutschlandradio. Lehraufträge in Kulturwissenschaften und Philosophie. Von 2012 bis 2018 Mitglied im Vorstand der taz. Moderiert (theorie-)politische Veranstaltungen. Bevor sie zur taz kam: Studium der Gesellschaftswissenschaften, Philosophie und Psychoanalyse in Frankfurt/Main; Redakteurin und Lektorin in Wien.

Kommt der Herbst, kommen die Bücher: Die taz fliegt wieder aus nach Frankfurt, zur Buchmesse:

Diskussion:Apocalypse Now? – Über den Weltuntergang und Kampf um die Zukunft“. Ein Podium mit Cornelia Betsch, Steffen Mau und Christian Jakob.

Wahrheit-Klub:Die Sehnen der Slowenen“ – Die Wahrheit lädt zum Klub-Treffen inkl. Verleihung des Jieper Preis 2023.

Lesestoff: „Worte finden,wenn sie ausgehen“ – Was bringen die wichtigsten Romane und Sachbücher dieses Herbstes und wie geht die Literaturwelt mit den aktuellen Konflikten um? Die literataz berichtet: Laden Sie hier das PDF der Literataz herunter

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