Kolumne Lügenleser: Du großartige Mausrutscher-Kolonne

So richtig überraschend sind Günther Oettingers Aussagen über Chinesen eigentlich nicht. Es sind ja auch nicht die ersten ihrer Art.

ein grinsender Mann neben einer EU-Fahne

Immerhin hatte er selbst Spaß an seiner Rede: Günther Oettinger Foto: reuters

Schlitzohren und Schlitzaugen“. Donnerwetter, da hat der Mann mit dem Namen eines einigermaßen erträglichen Bieres aber einen rausgehauen. LOL, ROFL, HDGDL, ach du mein Stammtisch, i moag di. In etwa so humorig wie die fleischgewordenen Herrenwitze, die auf der vollgekotzten Theresienwiese des Oktoberfests herumliegen und sich für die Krone der Schöpfung halten.

Vor, während und nach dem Vollrausch. Das Geld der asiatischen Touristen wird auch dort gerne genommen, ansonsten hat aber Ruhe zu herrschen auf den billigen beziehungsweise chinesischen Plätzen. Haha, verstehen Sie? Ja? Oh, tut mir leid, so war das gar nicht gemeint. Prosit!

Ob Günther Oettinger sich in bester EU-Parlament-Manier von Jean-Claude Junckers feuchtfröhlichen Auftritten inspirieren ließ und sich am frühen Morgen ein kleines Schnäpperchen gegönnt hat, bevor er seine Weisheiten über Asiaten verbreitete und nebenbei noch von einer „Zwangs-Homoehe“ philosophierte, ist der Nachwelt auf der Afterhour nicht überliefert. Es wäre ihm allerdings durchaus zuzutrauen, derartiges auch nüchtern abzusondern.

Schriftlich überliefert ist hingegen seine Erklärung in der SUPERillu der Politik, auch Welt genannt. Das ist die Zeitung, die ihre Leser neuerdings geflissentlich vorwarnt, bevor diese sich einen Artikel aus dem Hause Springer gönnen. „Lesedauer 4 Minuten“ steht dort seit Kurzem vor den Onlinetexten. Gut zu wissen, mehr Zeit zwischen Weißwurst zuzeln, sprachliche Flächenbrände entfachen und der nächsten Maß hab ich grade eh nicht.

„In keinster Weise respektlos“. Achso.

Was meinte Herr Oettinger denn nun genau, als er von Schlitzaugen sprach? „Das war eine etwas saloppe Äußerung, die in keinster Weise respektlos gegenüber China gemeint war.“ Okay, du bayerische Suffnase mit dem Intellekt einer Beutelratte. Verzeihung. Das war natürlich nicht respektlos gemeint.

Deutschland, du großartige Mausrutscher-Kolonne. Der von CSU-Spezi Joachim Herrmann ins Spiel gebrachte „wunderbare Neger“ sitzt nur einige Meter weiter und nickt eifrig. Salopp, ja. Aber mehr doch wirklich nicht. Brechdauer: 20 Minuten und mehr. Erneute Nachfrage. Aber bitte noch einmal, wie genau meinten Sie das denn nun, Herr EU-Kommissar? „Ich wollte im digitalen Sektor, generell bei technologisch geprägten Sektoren aufzeigen, wie dynamisch die Welt ist.“

Potzblitz, das klingt sogar noch besser als Christoph Daums „Ich habe ein absolut reines Gewissen“ oder die Statements von Deutschlands aktuellem Lieblingstroll, Donald „not true“ Trump. Das ist nicht mal mehr Whataboutism. Das ist grenzgeniale Debilität und die perfektionierte Verweigerung von Reflexion. Genug Politik für heute. Zu ermüdend.

Also schnell mal ins Unterhaltungsprogramm gezappt, da wo all das gespiegelt wird, was dieses schöne Land so ausmacht. Oh, Blackfacing um 20.15 Uhr im Ersten. Ganz schön salopp. Endlich ausspannen und fünfe gerade sein lassen. Hitler-Doku, Deutschlands schönste Bahnstrecken, Mitten im Leben, eine Live-Übertragung aus dem EU-Parlament, Verstehen Sie Spaß? Guckdauer: 24/7

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Juri Sternburg, geboren in Berlin-Kreuzberg, ist Autor und Dramatiker. Seine Stücke wurden unter anderem am Maxim Gorki Theater und am Deutschen Theater in Berlin aufgeführt. Seine Novelle "Das Nirvana Baby" ist im Korbinian Verlag erschienen. Neben der TAZ schreibt er für VICE und das JUICE Magazin.  

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