Kolumne „Minority Report“: Digga, wer bist du eigentlich?

Der Überjournalist Henning Sußebach weiß ganz genau, was Rassismus ist. Deshalb klärt er uns in der „Zeit“ endlich auf.

Drei Stifte, fein säuberlich übereinander aufgereit. In schwarz, rot und gold

Der Überjournalist ist eine Kartoffel Foto: joto/photocase

Henning Sußebach ist einer dieser Namen, die ich ständig höre, aber mir nie merken kann. Vielleicht weil er so unfassbar deutsch ist. Jedenfalls höre ich den Namen ständig von Kolleg*innen jüngeren Jahrgangs, die davon träumen, mit Magazinjournalismus viel Asche zu verdienen. Sie sagen, er sei „der Überjournalist“ (kann ich mir schon besser merken). Jetzt habe ich zum ersten Mal einen Text von ihm gelesen in der Zeit. Und ja, er schreibt echt okay. Für eine Kartoffel.

Das mit der Kartoffel ist wichtig. Das mit der Kartoffel ist nämlich der Kernpunkt, um den sich seine Argumentation in besagtem Text dreht. Unter der Überschrift „Wo kommst du eigentlich her?“ beschäftigt sich der Überjournalist mit der Frage, warum Menschen mit Migrationshintergrund eben diese Frage als rassistisch empfinden und kommt zu dem Schluss: weil sie keine Ahnung haben.

Ich musste den Text nicht mal zu Ende lesen, um auf diese Folgerung zu stoßen. Sie steht nämlich schon im ersten Absatz. Sinngemäß so: „ICH BIN KEIN RASSIST. ICH FRAGE WAS ICH WILL DU OPFER!“ Und so geht es zehntausend Anschläge weiter.

Natürlich gibt es triftige Gründe, die dagegen sprechen, dass der Überjournalist ein Rassist ist, und er zählt sie auf (aber in vollem Bewusstsein darüber, dass genau das der alte Rassistentrick ist! Ha! Raffiniert!). Ich dagegen habe nachgezählt, wie oft der Überjournalist in diesem einen Artikel den syrischen Flüchtling erwähnt, den er bei sich zu Hause aufgenommen hat. Fünfmal.

Dankbarer Syrer

Er hat sein Arbeitszimmer für den SYRER frei gemacht. Der SYRER ist immer dankbar, wenn man ihn fragt, woher er kommt. Weil er dann auch mal was erklären darf. Alle anderen Kanaken im Land sollen sich also bitte nicht so anstellen.

Redakteur*innen beschreiben gelungene Texte manchmal als „unerwartbar“. Ich bin auch Redakteurin, und gehöre somit zu den Kanaken, die es „geschafft“ haben, und die laut dem Überjournalisten besonders empfindlich auf seine Frage reagieren („Dönerverkäufer antworten immer“ – vielleicht weil sie dir einen Dürüm andrehen wollen?).

Und ich frage mich: Was ist erwartbarer als ein weißer Dude, der sich darüber lustig macht, dass er ein weißer Dude ist, aber trotzdem beansprucht, besser zu wissen, was verletzend oder ausgrenzend oder nervig ist, als die von Rassismus betroffenen Personen selbst, die bei seiner Frage regelmäßig kotzen müssen?

Der rebellische Überjournalist wird seine Frage natürlich weiterhin stellen, und auf diese „Sprechverbote“ in Hamburg-Ottensen scheißt er sowieso. Übrigens, for the record: Nein, die Frage ist nicht per se rassistisch. Die Annahme, uns darüber belehren zu müssen, was wir als rassistisch empfinden dürfen, ist es schon.

Dass diese Frage die tollsten Gespräche eröffne, bleibt dennoch eine einseitige Einschätzung. Der Überjournalist mag es romantisch finden, Fremde auf der Straße zu fragen, warum ihr Haar so kraus ist. Er spitzt die Ohren. Wir greifen nach der Brechtüte. Und die brennende Frage lautet irgendwann nicht mehr: Wo kommst du eigentlich her? Sondern: Digga, wer bist du eigentlich?

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ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).

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