Kolumne Mithulogie: Demokratie wäre eine super Idee

Es ist eine Katastrophe, dass wir uns nicht die Mühe machen, Wahlprogramme zu lesen. Lest endlich die Anleitungen, bevor Ihr wählt!

Wahlplakate zur Bundestagswahl 2017

„Eine bessere Zukunft kommt nicht von allein.“ Ja, stimmt. Vielleicht. Wahrscheinlich. Wer weiß Foto: dpa

Mahatma Gandhi wurde einmal gefragt: „Was halten Sie von westlicher Demokratie?“ Worauf er antwortete: „Das wäre eine super Idee.“

Die Geschichte ist mit großer Wahrscheinlichkeit erfunden. Mit noch größerer Wahrscheinlichkeit von mir.

Manchmal braucht man alle Unterstützung, die man bekommen kann. Vor allem, wenn man hochschaut und die Bäume voller bunter Flecken sind. Was kein Zeichen für den beginnenden Herbst ist, sondern für den ­beginnenden deutschen Herbst – Pardon – deutschen Wahlherbst!

Ich gehe wählen, weil sich Leute für mein Recht zu wählen vor Pferde geschmissen haben. In Anbetracht dessen finde ich unser „Alle vier Jahre ein Kreuzchen machen und davon ausgehen, dass die Parteien eh tun, was ihnen die Wirtschaft vorschreibt“ ein wenig pietätlos. Realistisch, aber pietätlos.

Was ich dagegen für eine Katastrophe halte, ist, dass wir uns in der Regel noch nicht einmal die Mühe machen, die Wahlprogramme zu lesen, die wir den Parteien ohnehin nicht glauben.

Ein paar Testfragen:

Welche Partei möchte

– eine umfassende Digitalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs?

– die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beenden?

– die Arbeit von Hebammen wieder ermöglichen?

– die Arbeitslosenquote auf 3 Prozent reduzieren?

– Geheimdienste und Verfassungsschutz auflösen?

– Selbstständige verpflichten, in die gesetzlichen Krankenversicherungen zu gehen?

– die Wehrpflicht wieder einführen?

– mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum?

Die Antworten lauten in dieser Reihenfolge: CDU; alle; Grüne; CDU; Linke und Piraten; SPD; AfD; alle bis auf die Linke.

Die Wahlplakate dagegen verraten uns lediglich, welche PR-Firmen sich die Parteien geleistet haben oder nicht geleistet haben („Burkas? Wir stehen auf Bikinis“; AfD). Etwas läuft doch gewaltig schief, wenn die informativsten Plakate von der FDP stammen.

Deshalb mein Vorschlag: Bevor wir wählen, sollten wir die drei wichtigsten Punkte aus dem Programm unserer Partei nennen müssen – okay, von mir aus auch drei beliebige Punkte von irgendeiner Partei – ansonsten wird unsere Stimme ungültig.

Das ist natürlich nicht demokratisch. Aber genauso wenig ist es demokratisch, wenn Leute, die sich nicht einmal die Mühe machen rauszufinden, was die Parteien, die sie in Amt und Lohn wählen, eigentlich vorhaben, bestimmen, wo es in den nächsten vier Jahren langgehen soll.

Und da wir gerade dabei sind, hätte ich auch gern ein Kästchen für Nichtwähler*innen, die „Nein, mir passt das alles gar nicht“-Stimme.

Das werden wir in den nächsten vier Wochen wohl nicht erreichen. Aber wir können die Wahlprogramme lesen. Oder auf Englisch: rtfm – read the fucking manual.

Demokratie wäre eine prima Idee.

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Dr. Mithu M. Sanyal, Kulturwissenschaftlerin und Autorin Themen: Sex, Gender, Macht, (Post)Kolonialismus, Rassismus, Wissen schreibt eine regelmäßige Kolumne für die taz "Mithulogie" Bücher u.a. "Vulva" (Wagenbach), "Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens" (Nautilus.)

Bei wieviel Prozent liegen die Parteien? Wer hat welche Wahlkreise geholt?

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