Kolumne Nach Geburt: Kinder aus der Gleichmacherstraße

Sich in der Öffentlichkeit um seine Kinder zu kümmern, ist entwürdigend. Zum Glück für alle, egal wie reich, arm, klug man ist. Das schafft Solidarität.

Ein Kuckucksküken will was zu Essen haben

So nicht, mein Großer! Ein Teichrohrsänger (r.) bringt einem Kuckucksküken Manieren bei (mit vollem Mund spricht man nicht und so) Foto: Nabu/dpa

„Bitte nicht die Melone, leg die wieder …“ Tja. Blöd. Muss ich die jetzt kaufen?, denkt der Vater wohl gerade.

Zum Glück nicht mein Kind, denke ich.

Mit Engelsgeduld redet er auf seine Tochter ein: Bitte die Sachen zurücklegen. Bitte wieder aufstehen. Bitte den kleinen Einkaufswagen weiterschieben, wenn du ihn schon haben wolltest. Bitte nicht in die Kühltruhe klettern. Lass die Flasche stehen!!

Der Kerl hat gerade eben noch im Fitnessstudio gepumpt, als würde er die Geräte auseinandernehmen. So eine Mensch gewordene Mischung aus Testosteron, Anabolika und Wachstumshormonen. Typ Arnold Schwarzenegger. Der würde einen wie mich – Typ Kreuzung aus Woody Allen und dem größten Bruder der Daltons – einfach durchbrechen. Warum? Weil er es kann.

So schlimm vorurteilsbeladen bin ich. Denn jetzt steht dieser liebe Mann vor seiner Tochter und ist so sanft, als würde er in seiner Freizeit nicht Geräte malträtieren, sondern sich um Baby­kaninchen kümmern, die viel zu früh ihre Eltern verloren haben: sie streicheln, sich mit ihnen auf die Schaukel setzen und Löwenzahnblätter für sie pflücken.

Kleine große Gleichmacher

Das ist eine der besten Begleiterscheinungen von Kindern: Sie sind Gleichmacher. Der große Chef, dieser Herrn Niegesehen, an den man eh nicht rankommt, genauso wie der Proll, der zu viel pumpt, oder der Asket, der sich nur von stillem Wasser und frischer Luft zu ernähren scheint – alle suchen sie ihren Weg zwischen liebevoller Zuwendung, Verzweiflung und Ausrasten, wenn die Sophie mal wieder damit droht, den zwei Jahre jüngeren Louis vom Klettergerüst zu schubsen, weil dieser das gesellschaftliche Fortkommen behindere. Und dann pisst Sophie kurz darauf auch noch in den Sand. Genau in die Grube vor der Rutsche.

Es ist entwürdigend und entblößend, immer zu deeskalieren, aufzuräumen, zu tadeln, aber auch nicht zu böse zu sein – und gleichzeitig zu wissen, dass die Eltern drumherum beobachten und beurteilen.

Eigentlich gibt’s nur eine ähnlich entwürdigende Tätigkeit: kacken. Also selbst. Nicht die Kinder. Die italienische Künstlerin Cristina Guggeri malt deshalb die Mächtigen und nicht ganz so Mächtigen auf dem Pott. Schön auf die Ellbogen gestützt sitzen da Merkel oder Putin oder der Papst. Das verbindet. Das anzuschauen soll wohl Ehrfurcht und Grenzen abbauen. Zum Scheißen müssen halt alle in die Knie gehen. Heißt es doch. Oder?

Aber weil wir diese Grenzen wahren wollen, schließen wir die Tür ab. Nur: Kinder sind diese Abgrenzungen egal. Man kann noch so stark, noch so schön, noch so clever sein, die mischen alle auf. Und so verbindet all die Eltern mit kleinen Kindern, sei es auf dem Spielplatz, sei es beim Einkaufen, ein Band der Solidarität und Gleichheit.

Leider hält es immer nur, bis alle zum Abendbrot müssen – oder nach Hause auf Klo.

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Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.

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