Kolumne Navigationshilfe: Wir fahren in den Osten

Als „Wessi“ hat sie viel zu wenig Zeit im Osten verbracht, stellt unsere Autorin plötzlich erstaunt fest. Aber warum eigentlich?

Strandkörbe an der Ostsee

Warum kannten wir „Wessis“ den Osten so wenig? Foto: imago/phototek

Die Straße war holprig und schlecht, und wir sprachen darüber, dass die Straße holprig und schlecht war. Das Dorf wirkte verfallen, es lag irgendwo östlich von Berlin, und es war das erste Mal, dass ich in den Osten reiste, in den frühen 2000er Jahren. In besagtes Dorf fuhren wir überhaupt nur kurz, weil mein Vater da eine Bekannte hatte.

Vielleicht haben wir Wessis meiner Generation dieses Fremddenken über den Osten so überaus willig von unseren Eltern übernommen, weil es schon bei der Fahrt dahin nur um das Fremde ging: Hier stand die Mauer. Hier waren die Grenzbeamten. Und wie heißen noch mal die Hauptstädte dieser neuen Bundesländer, die man sich nicht merken kann?

Wir haben uns nie gefragt, warum wir eigentlich nie in Urlaub an die Ostsee fuhren oder in die Sächsische Schweiz. Aktuell ist es schwer in Mode, über die eigenen Versäumnisse in der Ostbeziehung zu reden. In so einer Art verspätet büßenden, lustvollen Wessi-Selbstzüchtigung geht es dann um eigene Arroganz, Überheblichkeit, Ignoranz gegenüber dem Osten.

Aber ich vermute, mit dem Reisen war es wie mit vielen Dingen nach der Wiedervereinigung viel banaler: Man hat im Westen einfach so weitergemacht wie immer. Man hat übersehen, dass man auch mal Urlaub im Osten machen könnte. Bis heute fühle ich mich in Mecklenburg fremder als in Niedersachsen. Dabei sieht es in den Dörfern an der Müritz nicht viel anders aus als in Dörfern im Rheinland. Plattenbauten gab es übrigens auch bei uns im Vorort. Vielleicht ist die Fremdheit also einfach eine Einbildung, sie nährt sich vor allem aus dem Gefühl, unwissend zu sein. Und dass dieses Unwissen im Gespräch jederzeit sichtbar werden könnte.

Wir haben uns nie gefragt, warum wir eigentlich nie in Urlaub an die Ostsee fuhren oder in die Sächsische Schweiz.

In den Wessischulen wurde damals, soweit ich es überblicken kann, außer Honecker und Stasi nichts über die DDR gelernt. Referenz an den anderen Teil Deutschlands, das wären Fernsehsendungen, Musik, Freizeitkram, bekannte Sportler, irgendwas über das Leben eben. Wir kennen eigentlich nur FKK. Kann gut sein, dass das in einer Generation sowieso egal ist, weil dann auch kein Kind im Osten mehr weiß, wer Sigmund Jähn war, der erste Deutsche im Weltall.

Heute frage ich mich: Warum lernen wir das nicht, als eigene Kulturgeschichte? Warum haben wir nicht mal Klassenfahrten nach Thüringen gemacht, Uni-Ausflüge nach Mecklenburg, Familienreisen nach Sachsen-Anhalt, und zwar ganz normal, ohne dauernd von der Mauer zu reden? Es hätte vieles einfacher gemacht. Das Reiseproblem gibt es offensichtlich nicht nur in eine Richtung: Eine Kollegin aus dem Osten berichtete mir, ihr gehe es mit dem Westen genauso. Sie fahre da viel zu selten hin.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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