Kolumne Nullen und Einsen: Ihr seid wie meine Mutter

Internet ist wie schwanger, ein bisschen geht nicht? Unsinn! Die digitale Ganz-oder-gar-nicht-Mentalität ist albern und schafft Zwänge.

Jetzt auch mit QR-Code: Jehovas Zeugen. Bild: privat

Vorm Zickenplatz, auf der anderen Seite der großen Straße, sitzen oft Zeugen Jehovas an einem Tisch, unterhalten sich und gucken in die Welt hinaus. Ja, genau, die müssen nämlich gar nicht mehr stehen und schweigend ein ernstes Gesicht machen. Angesprochen werden sie trotzdem nicht. Vielleicht haben sie deswegen neuerdings auch einen QR-Code vorn auf ihren Tisch gedruckt (das sind diese Schachbrettmuster zum Smartphone-Abfotografieren). Wenn 120.000 Leute ihn aktivieren, kommt der Messias, aber nur, wenn ihn dann nochmal 60.000 Leute aktivieren.

2013 hat also nun wirklich jeder ins Netz gefunden, selbst die Amischen haben eine Webseite und Uli Hoeneß hatte in einem Interview im Herbst 2012 erklärt, dass er in seinem Leben noch lernen will, wie man einen Computer bedient. Er hat ja bald viel Zeit für so was.

Doch während die letzten endlich eintrudeln, wird es den ersten schon wieder zu viel. Also ich meine jetzt nicht die Journalisten, die mal sechs Monate offline gehen, weil ihnen kein interessantes Thema einfällt. Und auch nicht so arschkonservatives „Ich mach das nur noch bei der Arbeit, ich habe das nicht nötig“-Gepose, das ja gerade zeigt, WIE nötig man es wirklich hat.

Nein, ich meine Kollegen von mir, kluge und lustige Menschen eigentlich, die neulich gemeinsam über den Mitmachdruck in sozialen Medien klagten. „Seit über einer Woche nichts mehr bei Facebook gepostet. Das macht richtig Spaß“, postete der eine dann kurze Zeit später bei Facebook. Und die andere sagte mir, sie wäre jetzt raus bei Twitter, weil sie es nicht mehr schaffen würde, das alles zu lesen.

Ich verstehe das nicht. Man muss doch nichts bei Facebook posten, wenn man gerade nichts zu erzählen hat. Ich ruf doch auch nicht jeden Tag aus Prinzip jemanden an. Und es ist ja außerdem gerade das Tolle am Internet, dass es voller Katzen … äh: dass es so groß ist, dass man eh keine Chance hat, alles zu erfassen, und es deswegen gar nicht erst versuchen muss.

Doch irgendwie gibt es in Sachen Internet immer noch eine seltsame erhöhte Selbstwahrnehmung gepaart mit einer binären Ganz-oder-gar-nicht-Mentalität. Unter eine meiner Kolumnen etwa, wo es um meine Liebe zu Facebook-Likes ging, schrieb Kommentator Piet: „Herr Brake – Sie sollten reisen! Lernen Sie E-Schweißen! Eine exotische Fremdsprache. Machen Sie e c h t e Erfahrungen“ Als wenn das nicht einfach beides ginge, Facebook und Offlineaktivitäten. (Mal ganz nebenbei: Was macht eine so abstrakte Tätigkeit wie „Fremdsprache lernen“ zu einer echteren Erfahrung als Facebook?)

Ein wenig erinnert mich das an meine Mutter, die immer, wenn ich bei ihr bin, laut darüber nachdenkt, ob sie ihr Zeitungsabo kündigen soll, weil sie ja doch nicht schafft, das alles zu lesen, bzw. ob sie nun ein neues Abo bestellt, aber sich deswegen nicht sicher ist, weil sie es ja doch nicht schafft, das alles zu lesen.

Na ja. Jetzt hat sie sich erst mal ein Jahr auf ein Wochenendabo festgelegt. Das tolle, neue der taz.am Wochenende, die jetzt so wunderbar dick und gemütlich ist. Haha. Habt ihr jetzt wirklich geglaubt, was? Nee. Natürlich eins von der Süddeutschen.

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Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.

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