Kolumne Psycho: Ausgrenzung unter Profis

Auch Psychologen sind nicht immun gegen psychische Probleme. Dass sie allerdings von Kollegen stigmatisiert werden, ist erstaunlich.

Quadratische Fliesen in Grün- und Blautönen, dazwischen eine rote

Ein wunder Punkt – alias ein Psychologe mit psychischer Störung Foto: jock&scott/photocase

Eine befreundete Psychologin, die selbst eine Angststörung hat, schickte mir neulich einen Artikel über Stigmatisierung von Menschen mit psychischer Erkrankung. Erzähl mir was Neues, dachte ich, klickte – und staunte. Denn die Betroffenen, um die es in dem Text geht, sind selbst Psychiater oder Psychologen. Und stigmatisiert werden sie, tadaa: von ihren Kolleginnen und Kollegen.

Dass Psychologen nicht vor psychischen Problemen gefeit sind, dürfte niemanden wundern, der mal die Zahlen der insgesamt Betroffenen überschlagen hat. Und nur weil jemand Psychologie studiert hat, ist er noch lange nicht immun gegen Depressionen, bipolare Störungen oder Angsterkrankungen. Laut einer Studie ist sogar das Gegenteil der Fall: Psychologen leiden häufiger an Depressionen als der Rest der Bevölkerung. Dass allerdings in den eigenen Reihen Ablehnung und Ausgrenzung vorherrschen, klingt erst mal so absurd wie die Leugnung des Klimawandels.

Gerade dort, wo der Umgang mit psychischen Störungen an der Tagesordnung ist, wo Akzeptanz gepredigt wird und Empathie, wo es darum geht, Patientinnen und Patienten nicht zu verurteilen, damit die gemeinsame Arbeit eine stabile Basis bekommt, gerade dort wird also all das mit Füßen getreten, sobald es sich um eine Kollegin oder einen Kollegen handelt. Das ist doch – mit Verlaub – schizophren. Und nein, das meine ich nicht im pathologischen Sinn.

Um zu erklären, warum Profis ihre psychische Erkrankung lieber geheim halten, zitiert die Autorin des Textes eine Erhebung schwedischer Forscher aus dem Jahr 2011. Laut dieser halten die meisten Mediziner, Krankenpfleger und Sozialarbeiter, die in der Psychiatrie arbeiten, außerhalb der Klinik lieber Distanz zu Betroffenen, würden jemandem mit psychiatrischer Erkrankung eine Jobstelle lieber nicht geben oder sich nicht mit ihnen verabreden. Klar, sind halt auch nur Menschen mit Vorurteilen, aber sollten nicht gerade sie es besser wissen?

Überträgt man diese Haltung auf andere Berufe, dürften etwa Hebammen keine Kinder bekommen, ohne Stigmatisierung fürchten zu müssen. Ein schiefer Vergleich? Ach, richtig: Kinder kriegen ist ja keine Schwäche, im Gegensatz zu einer psychischen Krankheit. Oder wie soll man das sonst verstehen?

Dabei könnte man eine psychische Störung auch als Krise sehen, an der man wächst und die ein größeres Ausmaß an Empathie gegenüber Patienten zulässt, die mit den gleichen Problem zu kämpfen haben. Mal abgesehen davon, dass die sich besser verstanden fühlen, wenn ihr Gegenüber etwas Ähnliches durchgemacht hat wie sie selbst.

Nicht dass wir uns falsch verstehen: Natürlich müssen – wie in allen anderen Berufen auch – Konsequenzen gezogen werden, wenn der Therapeut durch seine Krankheit andere gefährdet. Aber das, worum es hier geht, beginnt ja viel früher. In der Wirtschaft werden Krisen übrigens nicht als Scheitern gesehen, sondern als Anlass zu Entwicklung. Nennt sich Resilienz und ist ein Begriff aus der Psychologie. Aber das wissen die Psychologen natürlich selbst. Theoretisch jedenfalls.

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Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).

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