Kolumne Rambazamba: Der Tag, an dem der Fußball starb

Griechenland hatte die ganze Welt gegen sich. Dabei hat das griechische Team daran erinnert, was Fußball wirklich ist: Arbeit, Arbeit, Arbeit.

Die griechische Mannschaft bejubelt den Ausnahmefall: ein Tor. Bild: dpa

Sie haben verloren. Verloren gegen Costa Rica, einer nichtigen Mannschaft aus einem unbedeutenden Land, die plötzlich alle ganz furchtbar süß finden, weil sie ja so überraschend ins Viertelfinale gekommen ist und aus so sympathischen Underdogs besteht. Bullshit. Costa Rica ist so Underdog wie die Grüne Partei. So nonkonformistisch wie der Prenzlauer Berg. So sympathisch wie der Karneval der Kulturen.

Nein, der wahre Underdog dieser WM war die einzige Mannschaft, die die ganze Welt gegen sich hatte. Verachtet, verhöhnt, verhasst. Und trotzdem hat sie alles gegeben. Für ihr Land. Und vor allem: für den Fußball. Diese Mannschaft hat daran erinnert, was Fußball eigentlich ist und woher er kommt. Fußball ist kein Event für die ganze Familie und Tore aus 78 Kameraeinstellungen und debil winken, wenn man sich selber auf der Großbildleinwand sieht und Eintrittskarten, die einen halben Monatslohn kosten.

Fußball, das ist ein 0:0 zwischen Rot-Weiss Essen gegen Rot-Weiß Oberhausen an einem nasskalten Novemberabend mit labbriger Bratwurst und schalem (aber nicht alkoholfreiem Bier). Das ist Doxa Drama gegen FC Xanthi auf einem staubigen Ascheplatz in der Abendhitze vor 200 Zuschauern. Das ist bei strömendem Regen FC Millwall gegen Charlton Athletic. Fußball, das sind behaarte Männerbeine mit Schürfwunden. Fußball ist weder Kunst noch Wissenschaft, Fußball ist Arbeit, Arbeit, Arbeit. Ein Spiel, in dem ein Tor keine Normalität ist, sondern der Ausnahmefall.

Diese Mannschaft hat an die schmutzigen und schweißigen, also proletarischen Wurzeln dieses Sports erinnert. Ihr Spiel – zwei Tore aus drei Vorrundenspielen – war ein Aufbegehren gegen das Spektakel, zu dem die Fifa den Fußball machen will.

Ihre doppelte Abwehrreihe: eine Barrikade gegen die Kommerzialisierung. Ihr Konterspiel: eine Reminiszenz des Klassenkampfs. Ihr kampfbetontes Spiel: ein Bekenntnis, dass das Leben nicht, wie von den Reklametafeln des Kapitalismus verkündet, die Suche nach dem Glück ist, sondern die Vermeidung von Unglück. Schließlich ihr Unvermögen, gegen eine mittelmäßige, dezimierte Mannschaft ein zweites Tor zu erzielen: das in steingemeißelte Bekenntnis, dass Fußball kein Mädchentennis ist.

Griechenland ist raus. Masada ist gefallen. Der Fußball ist tot.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.