Kolumne Schlimmer: Der Maik und sein Psyk

Rechtsextremismus ist ein gesamtdeutsches Problem. Also nicht unser Problem, sagt der Funktionär.

Faschos gibt es überall, auch wenn der Osten der Republik sich gern besonders hervor tut. Bild: dapd

Gleich knallt es. Aber vorher noch ein kleines Spiel. Zuerst: „Ach hallo“, freundlich sanft. Dann: „Hast du vielleicht Feuer?“ Und klar, ich weiß, das ist seine kleine Show jetzt, aber ich weiß auch: Fitnessstudio, schnelle Reflexe, drei ins Krankenhaus geprügelt letzte Woche. Also zünde ich ihm die Zigarette an, wir plaudern wie Kumpels und ich suche die Dunkelheit ab. Wo ist der Zweite? Als ich das kurze Ritschen vom Stiefel auf der Straße höre, ist es zu spät. Zwischen den Tritten und diesem Knacken hinterm Ohr denke ich: „Hinter dir, Idiot“ und dann „Aua“, „Scheiße“ und „Arme vors Gesicht“. Ich habe Schiss vorm Bordsteinkick.

Damals in den 90ern, Opa erzählt vom Krieg: Freunde, Cousins, ich – wir waren, so sagten es unsere Bürgermeister und Ministerpräsidenten, diese Einzelfälle, die in Ostdeutschland bedauerlicherweise den Nazis manchmal unangenehm auffielen. Das konnte schon mal vorkommen, Schlägereien gab es früher auf dem Dorf doch auch, und der liebste Satz: Rechtsextreme seien ein gesamtdeutsches Problem.

Musste ich wieder dran denken, als sich letzte Woche Lorenz Caffier, Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, aufregte, weil Hans-Peter Friedrich, Innenminister von Deutschland, gesagt hatte, Ostdeutschland werde von Neonazis unterwandert. Caffier meinte, man dürfe den Rechtsextremismus als Problem nicht auf eine Region reduzieren, also gesamtdeutsches Problem, und das schickte mein Hirn auf eine kleine Zeitreise.

Die verkannten Ostdeutschen vor den bösen Westzeitungen beschützen, die ihnen wehtaten mit Geschichten über prügelnde Naziskins und beschmierte Friedhöfe – das wollten unsere Politiker damals, das ließen sie durchblicken. Ein Tritt in die Fresse tut mehr weh als jeder Text, aber ums Beschützen ging es auch gar nicht. Funktionären geht es nur um eines: dass es funktioniert. Oder so aussieht als ob. Gesamtdeutsches Problem heißt: nicht unser Problem. So reden Funktionäre auch in Kirchen, muslimischen Verbänden und Schulen. Vielleicht konnten unsere Eltern so wenigstens ein bisschen mehr glauben, ihre Kinder lebten in einem normalen Land.

„Der Maik und sein Psyk“ hat eine Freundin dieses Paar genannt, das es überall gab – in Rostock wie in Suhl: Der Maik machte auf vernünftig, obwohl wir aussahen wie Untermenschen mit den langen Haaren, aber reden ließe sich ja trotzdem und so weiter und so fort. Der Psyk – also der Psycho, aber das reimt sich nun mal auf keinen Namen – war der Irre, bei dem keiner wusste, ob er wirklich eine Punkerin mit der Axt erschlagen hatte oder ob das nur ein Gerücht war. Kein Gerücht war, dass er mit dem Schlagen nicht aufhören konnte. Sein Maik musste ihn stoppen. Ganze Nazigruppen funktionierten so.

Hoffentlich hat er recht, der Herr Caffier, und diese Typen sind heute allesamt Friedensmenschen, gezähmt von Frauen, Jobangst oder Einsicht. Dann wäre ich einfach nur in der falschen Zeit hängen geblieben, und das wäre allein mein Problem.

Schlimmer: Deutschtürke nimmt Opfer Kolumnenplatz weg. Deniz Yücel kommt wieder.

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Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.

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