Kolumne So nicht: Klassifizierung des Feinds

„Bürgerlich“ hat als Kampfbegriff von links ausgedient. Die Rechten sollten ihn nicht als alleinige Waffe einsetzen können.

Herabgefallene reife Äpfel liegen unter einem Baum auf einer Streuobstwiese

Auch Arbeiter und Angestellte sollten sich Äpfel von Streuobstwiesen leisten können Foto: dpa

Fast unbemerkt hat das Attribut „bürgerlich“ vor nicht allzulanger Zeit seine Funktion als Kampfbegriff und Abgrenzungsmerkmal eingebüßt. Wenn jemand von links jemanden als bürgerlich bezeichnete, dann hieß das meistens nichts Gutes. In der Blattkritik der taz war vor einigen Jahren ein Feuilletonist der FAZ zu Gast, der bekannt ist für seine dem Papst sehr ähnliche Haltung zur Abtreibung.

Dieser Gast hatte sich den Spaß gemacht, in den letzten Ausgaben der taz nach dem Wörtchen bürgerlich zu suchen und zu bemerken, dass es zwar seltener werde, aber trotzdem noch hin und wieder vorkomme: das Attribut bürgerlich als Klassifizierung des Feinds. Der Aushilfshausmeister der taz bietet seit Jahren in einem Nachwuchsworkshop folgenden Kurs an: „Wie die taz wurde, was sie nicht werden sollte“. Ich hab den Kurs nie besucht, aber sicher ist das Wörtchen „was“ eine elegante Lösung und ein gutes Versteck für das, was die tazler früher mal „bürgerlich“ genannt hätten.

Bürgerlich wurde und wird so irre diffus verwendet, wie es sich für einen ordentlichen Kampfbegriff nunmal gehört. Von links bezeichnete man damit eine Mischung aus Doppelmoral, Opportunismus. Konservatismus und Kleinkariertheit. Von rechts meinte man damit Menschen ohne Geldsorgen und größere Fragen an die Machthaber. Mittlerweile reden wir aber gar nicht mehr von Verbürgerlichung, sondern beispielsweise von Gentrifizierung.

Warum sich der englische Begriff durchgesetzt hat? Ich vermute mal, weil er noch diffuser als „Verbürgerlichung“ ist und weil sich ein Begriff mit Migrationshintergrund besser für plakative Zwecken eignet. Jedenfalls scheint er besser geeignet zu sein als der Begriff Verbürgerlichung, der vom Einsatz der Vorgängerrebellen in mindestens zwei Generationen derart ausgeleiert ist, dass er niemanden mehr auf die Straße, die Barrikaden oder in die Anwohnerinitiative treibt.

Update der Etymologie

Markus Söder schloss die Grünen als Koalitionspartner aus, weil er eine „bürgerliche Koalition“ vorzieht. Hätte er diesen Begriff vor dem Wahltag genannt, es hätte ihn wahrscheinlich nochmal 5 Prozent gekostet. Ausgerechnet die Grünen – das weiß mittlerweile auch jeder CSUler – sind in ihrer Mitglieder- und Anhängerschaft so homogen bürgerlich wie kaum eine andere Partei: Ihre Wähler haben mindestens Abitur, einen gut bezahlten Job, Familie, Bahncard, Umweltbewusstsein und sind zivilgesellschaftlich involviert.

Ausgerechnet die Partei, die Bürgerschreck sein will, wurde von der CSU bzw. Herrn Dobrindt am bayerischen Wahlabend als bürgerliche Partei eingeordnet, ausgerechnet also jener Fraktion der Gesellschaft, die der Meinung ist, den bestehenden Staat mit seinen Gesetzen und Institutionen zu destabilisieren zu müssen. Falls jemand beim nächsten Interview mit Herrn Söder dran denkt: Bitte mal nachfragen, was an den Grünen er für nicht bürgerlich hält.

Nicht, dass man sich von seiner Erklärung ein Update der Etymologie des Begriffs erhoffen könnte. Schön wäre aber schon, wenn man eine Antwort darauf bekäme, was daran bürgerlich ist, Geflüchtete in ihrer Menschenwürde zu kränken, Autobahnen statt Arbeiter zu bezahlen und Raumfahrtprogramme auszubauen statt Wohnraum. „Bürgerlich“ hat als Kampfbegriff von links lange ausgedient und das ist auch gut so.

Denn die Attribute, die man mit dem Bürgerlichen verbindet, sind nicht alle nur schlecht. Auch Arbeiter und Angestellte sollten sorgenfrei und politisch aufgeklärt leben, in sanierten Lofts und Stadtvillen wohnen und sich Streuobstwiesenobst leisten können. Es wäre vielleicht besser, sich das Attribut „bürgerlich“ wieder zurückzuholen, bevor die Rechten es als ihre alleinige Waffe einsetzen können.

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

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