Kolumne Vollbart: Hier müsste eigentlich "Hass" stehen

Wenn sich Akademiker über Promi-Fotos definieren: Die Berlinale und ihre Journalisten.

Für Journalisten tun sie (fast) alles: die Stars bei der Berlinale-Pressekonferenz Bild: dpa

Eigentlich sollte diese Kolumne den Titel „Hass“ tragen. Das ist schließlich das, was ich während der ganzen Berlinale gefühlt habe. B., L. und F. sind natürlich neidisch, weil ich ja die ganze Zeit Filme schaue und so. Von wegen.

Die Berlinale wäre so schön, wenn eben nicht die Journaille da wäre. Auf Pressekonferenzen drehen sie durch, wenn Stars anwesend sind. Das ist nach wie vor ein Rätsel für mich, schließlich ist es doch unsere verfickte Arbeit. Und außerdem stehen die Clooneys, Thurmans und wie sie alle heißen nicht neben uns, sondern sitzen auf einem Podium – schön abgetrennt von der Presse. Gut, das kann ich noch durchgehen lassen. Sollen Sie eben scheißverwackelte Handybilder schießen und sie auf Facebook posten. Viel schlimmer hingegen ist das Warten vor den Sälen. Es wird geschubst, gedrängelt, getreten. Hauptsache, man selbst kommt rein – dafür verkauft man zur Not auch seine eigenen Eltern.

Meine Lieblingssituation ereignete sich allerdings während einer Vorführung. Ein Kollege hatte einen (wie sich später herausstellte) leichten Herzanfall erlitten. Der Film wurde gestoppt, und aus dem Saal begannen sich die Ersten zu beschweren. Als klar wurde, was passiert war, schämten sie sich aber nicht für ihr Verhalten. Nein, sie liefen ganz nach vorne, um die Situation besser fotografieren zu können. Klar, ist eben ein Event, so wie ein Schnappschuss von Charlotte Gainsbourg auf einer Pressekonferenz.

Am schlimmsten ist jedoch: Ein Großteil der Journalistinnen und Journalisten sind Akademiker. Sie sind oft, wie es so schön heißt, höhere Töchter oder Medizinersöhne. Es sind also gerade die, die häufig schreiben, dass man dieses Verhalten beim „Pöbel“ so oft sehe – und meinen damit natürlich die bösen Ausländer und Hartz-IV-Schmarotzer. Immer schön kulturpessimistisch argumentiert eben, bloß nicht das eigene Handeln reflektieren. Man ist wichtig, schließlich hat man ein Foto von Matt Damon.

In unserer Gesellschaft bekommt man aber immer beigebracht, nicht zu hassen, das ist auch erst mal schön, glaube ich. Die Regeln sind zum Beispiel folgende: Du musst auch Rassisten lieben. Muss ich? Wieso? Oder: Du solltest auch homophobe Menschen umarmen. Soll ich? Warum?

Die in unserer Gesellschaft marginalisierten Menschen dürfen eben nicht gleichziehen, das Recht haben sie nicht. Also wenn ich bespuckt werde, sage ich Danke?! – Ihr spinnt doch! Ich schlag zurück, mit geballter Faust. Dann können nämlich alle wieder schreiben: Ist doch klar, die mit Migrationshintergrund sind so gewalttätig. Mit meinem Gefühl bin ich auch in einer guten Tradition. Der marxistische Philosoph und Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens, Antonio Gramsci, hat schließlich auch gehasst – den Jahresanfang oder die Gleichgültigen zum Beispiel. Wie gerne würde ich ein Selfie von Gramsci und mir twittern, mit schlecht gelaunter Miene, versteht sich. Ich hätte, anstatt die Berlinale zu besuchen, besser zehn Tage lang mit F., B. und L. Pizza in Neukölln essen gehen sollen. Das hasse ich nämlich nicht – den Weg dahin allerdings schon.

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Jahrgang 1982, ist seit 2011 bei der taz. Seit November 2012 wirkt er als Redakteur bei tazzwei/medien. Zuvor hat er ein Volontariat bei der taz absolviert.

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