Kommentar Affäre Wulff : Null Toleranz für Schnäppchenjäger

Franz-Josef Strauß wäre niemals über seine Amigos gestolpert. Der Fall Wulff zeigt, dass sich die deutsche Gesellschaft geändert hat. Der Grund: die zunehmende soziale Spaltung.

Christian Wulff und Carsten Maschmeyer. Bild: dpa

Die Deutschen tolerieren keine Korruption mehr. Dies ist die eigentliche Nachricht der Affäre Wulff. Sozial war der Bundespräsident längst erledigt, bevor die Justiz jetzt eingriff. Die Deutschen konnten nicht verzeihen, dass Wulff seine Ämter missbraucht hatte, um sich als Schnäppchenjäger zu betätigen.

Diese deutsche Aversion gegen Korruption ist neu, wie ein Blick in die Geschichte zeigt: Beim bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß war allgemein bekannt, dass er ein weitverzweigtes Amigo-Netz unterhielt. Doch das schadete ihm gar nicht. Stattdessen wurde Strauß bewundert, auch für seine gewinnträchtige Chuzpe. Er war eben "a Hundling", der sich selbst Gesetz war.

Oder Gerhard Schröder: Der Ex-Kanzler konnte sich noch als "Genosse der Bosse" inszenieren - und seinen Wahlkampf von Carsten Maschmeyer finanzieren lassen. 650.000 Mark hat der Multi-Millionär 1998 für Schröders Kampagne springen lassen. Das hat damals niemanden gestört. Genau deswegen kann Wulff es bis heute nicht fassen, warum es plötzlich ein Problem sein soll, dass er sich in ein Luxushotel auf Sylt einladen ließ - für schlappe 780 Euro.

Offenbar hat sich die Gesellschaft gewandelt, ohne dass die Eliten dies bemerkt haben. Auch Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg staunt noch immer, dass es nicht mehr in Ordnung sein soll, eine Doktorarbeit als Patchwork-Plagiat einzureichen. So viele Politiker hatten das schon gemacht - ihm aber wurde es plötzlich zum Verhängnis.

Was also hat sich in den vergangenen Jahren verändert, dass die Bürger neuerdings so allergisch auf Korruption und Betrug reagieren? Es ist die zunehmende Spaltung der Gesellschaft. Seit zehn Jahren fallen die Reallöhne der Normalverdiener, während die Reichen deutlich reicher werden. Als noch jeder vom Wirtschaftswachstum profitierte, wurde die Korruption akzeptiert.

Doch seitdem die Armut steigt, wirkt es wie Hohn, wenn die Privilegierten ihre Privilegien ausnutzen. Die Parteienelite steht unter verschärfter Beobachtung. Mal sehen, wie lange es noch dauert, bis dies der letzte Politiker begriffen hat.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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