Kommentar Arbeitslosenzahlen: Die ungerührten Deutschen

Bei der Arbeitslosigkeit ist Europa tief in Nord und Süd gespalten. Und die Schere öffnet sich immer weiter. Das wird sich politisch rächen.

Ja, was? Ist die Krise. Bild: reuters

Es kommt auf die Deutschen an. Sie werden entscheiden, ob der Euro überlebt. Dies ist die ganz klare Botschaft, die sich aus den europäischen Arbeitslosenzahlen herauslesen lässt.

Denn diese Zahlen präsentieren ein gespaltenes Europa, in dem der Norden auf die Vollbeschäftigung zustrebt, während der Süden ständig weiter verarmt. Inzwischen sind in Griechenland und Spanien über 26 Prozent arbeitslos, von den Jugendlichen hat mehr als die Hälfte keinen Job.

Und dies sind nur die offiziellen Statistiken, die chronisch dazu neigen, die Wirklichkeit zu schönen. Die tatsächlichen Arbeitslosenquoten dürften deutlich höher liegen.

Im Süden müssen ganze Generationen erkennen, dass sie keine Zukunft haben. Das wird sich politisch rächen. In allen Südländern sind die etablierten Parteien verbraucht oder bereits zugrunde gegangen, Italien wird nicht der letzte Eurostaat bleiben, der auf die Unregierbarkeit zusteuert.

Die Wähler im Süden handeln sogar konsequent, wenn sie bei der Wahl protestieren und damit Chaos stiften. Auf ihre Regierungen kommt es sowieso nicht mehr an, denn faktisch werden sie bereits aus Deutschland regiert.

Hier werden die Bedingungen diktiert, die für die Rettungsprogramme zu erfüllen sind.

Doch wie die neuesten europaweiten Arbeitslosenzahlen zeigen, wird Deutschland seiner Verantwortung nicht gerecht. Statt den Südländern zu helfen, werden sie in die Armut gestürzt. Was noch schlimmer ist: Bisher bleiben die Deutschen völlig ungerührt. Ihnen reicht es, dass sie selbst nicht in der Krise stecken.

Ansonsten fällt Regierung und Teilen der SPD nur ein, dass die Südländer eben auch eine „Agenda 2010“ benötigen. Dieser Ratschlag ist aber nicht nur erschütternd selbstherrlich, sondern vor allem naiv: Die Südländer haben bereits Kürzungsprogramme hinter sich, gegen die die Agenda 2010 ein Witz war.

Doch reines Sparen bringt eben nichts, was sich übrigens bereits bei der Agenda 2010 studieren ließ. Die rot-grünen Kürzungsprogramme haben in Deutschland eine Wirtschaftsflaute provoziert, die erst endete, als 2005 die neugewählte Kanzlerin Merkel schlau genug war, auf weitere Sparprogramme zu verzichten.

So bizarr es ist: Merkels Opportunismus ist die letzte Hoffnung, die den Südländern noch bleibt. Sollte die Eurokrise nämlich auch Deutschland erreichen, kann man sicher sein, dass die Kanzlerin in typischer Merkel-Manier die taktische Kehrtwende vollzieht und Konjunkturprogramme für ganz Europa auflegt.

Es mag zynisch klingen, aber es wäre eine gute Nachricht für die Eurozone, wenn die Arbeitslosigkeit in Deutschland wieder steigen würde.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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