Kommentar Athener Reformplan: Das Soziale kommt zum Schluss

Die griechische Regierung musste mit der To-do-Liste ihr Wahlprogramm auf den Kopf stellen. Das Schuldendrama ist damit aber noch nicht zu Ende.

Mussten kleinbeigeben: Alexis Tsipras (r.) und sein Finanzminister Janis Varoufakis. Bild: dpa

Mehr als 60 Einzelpunkte umfasst das Reformprogramm, das die neue griechische Regierung in Brüssel vorgelegt hat. Gerade einmal vier Punkte handeln von der humanitären Krise. Sie kommen ganz zum Schluss der To-do-Liste, die die Gläubigerländer ultimativ gefordert hatten. Zudem sind sie mit Prüfaufträgen und Vorbehalten versehen.

Das sagt eigentlich alles: Premierminister Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis mussten nicht nur Kreide fressen. Sie mussten auch ihr Wahlprogramm auf den Kopf stellen. Statt einer sozialen legen sie nun eine liberale Wende hin – ganz so, wie es Bundesfinanzminister Schäuble und andere seiner dogmatischen Kollegen in der Eurogruppe gefordert haben. Am mangelnden Willen von Tsipras oder Varoufakis lag es nicht. Doch ihre politischen Gegner sind einfach zu übermächtig.

Die schiere Zahl der Reformprojekte enthält aber noch eine andere Botschaft: All das kann beim besten Willen nicht bis Juni umgesetzt werden, wie es Schäuble & Co. fordern. Das hat nichts mit Parteipolitik, mit links oder rechts zu tun, es geht einfach nicht. Europa muss Griechenland mehr Zeit geben, da hat der US-Ökonom Paul Krugman völlig recht.

Wird Athen diese Zeit bekommen? Bisher ist nicht einmal sicher, ob sich die Eurogruppe mit dem neuen Programm zufrieden gibt. Obwohl die Troika schon zugestimmt hat, ist die Versuchung vor allem in Deutschland groß, nachzukarten und noch mehr, noch härtere Reformen zu fordern. Härte zahlt sich aus, nicht wahr?

Nein, Härte ist zynisch. Griechenland wurde von den Gläubigern in ein Korsett gezwängt, aus dem es sich unmöglich selbst befreien kann. Ende Juni könnten wir deshalb vor derselben Situation stehen wie vor zwei Wochen. Das Schuldendrama geht weiter, selbst von griechischer Seite erfolgreich beendete Reformen dürften daran nichts ändern.

Die Eurogruppe, in der die Finanzminister die Steuer- und Wirtschaftspolitik koordinieren, hat der neoliberalen Reformliste zugestimmt. Jetzt ist nur noch der Bundestag am Zuge. Er darf, ja muss sich zum griechischen Reformprogramm äußern.

Das Europaparlament hingegen hat nichts zu melden. Vielleicht wäre an dieser Stelle endlich auch mal eine Reform fällig? Es müssen ja nicht gleich 60 Punkte sein.

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Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog

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