Kommentar Aufstände in Idomeni: Kalkulierte Hoffnungslosigkeit

Das Schicksal der Flüchtlinge von Idomeni wird im übrigen Europa verdrängt. Es ist ihr gutes Recht, auf sich aufmerksam zu machen.

Flüchtlinge liegen vor dem Grenzzaun in Idomeni, dahinter mazedonische Polizisten

Noch immer sitzen Tausende in Idomeni fest. Die mazedonische Grenze wird scharf bewacht Foto: dpa

Das von österreichischen und anderen EU-Polizisten unterstützte Vorgehen der Sicherheitskräfte in Mazedonien gegen in Idomeni verharrende Flüchtlinge gehört zu den schwarzen Kapiteln der jüngsten EU-Geschichte. Mit Tränengas und Gummigeschossen „heldenhaft“ gegen an dem Grenzzaun rüttelnden Menschen vorzugehen, ist ohne Zweifel unverhältnismäßig. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der größte Teil der Flüchtlinge aus Frauen und Kindern besteht.

Dieses Vorgehen ist mit Hilfe Ungarns, Österreichs und der Slowakei politisch kalkuliert und regelrecht geplant worden. Dazu gehörte, die mazedonische Öffentlichkeit im Stile totalitärer Staaten mittels Massenmedien systematisch gegen Flüchtlinge aufzuhetzen. Die Menschen in Mazedonien sollen nun glauben, Tausende von arabischen Terroristen stünden an der Grenze des kleinen Landes, das sich nun mit allen Mitteln verteidigen müsse.

Ins Visier der Geheimdienste geraten sind zudem die aus vielen Ländern kommenden freiwilligen Helfer. Unter ihnen werden die Drahtzieher der Flugblätter vermutet, die zu den Aktionen der Flüchtlinge an den Grenzen geführt haben. Sicherlich, die Aktion, einen reißenden Fluß zu durchqueren, barg ihre Gefahren, auch weil man wusste, dass an den Tagen zuvor schon drei Menschen im Fluss ertrunken waren.

Der Angriff auf den Grenzzaun vom letzten Wochenende jedoch war eine Aktion, die durch die Demonstrationsfreiheit in Griechenland gedeckt ist. Ohne die Demonstrationen der Flüchtlinge geriete das Lager in Idomeni, wie von den meisten europäischen Politikern gewünscht, in Vergessenheit. Es ist ja sogar gelungen, die Initiative des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow abzublocken, 2000 Flüchtlinge von dort aufzunehmen.

Erneut ist es an der griechisch-mazedonischen Grenze zu Auseinandersetzungen zwischen mazedonischen Sicherheitskräften und Flüchtlingen gekommen. Die Polizei habe mit Tränengas und Blendgranaten auf 30 Menschen gefeuert, die versucht hätten, den Stacheldrahtzaun am Grenzort Idomeni zu überwinden, berichtete die griechische Polizei am Mittwoch. Über Verletzte gab es zunächst keine Berichte.

Nur wenige hundert Meter von dem Polizeieinsatz entfernt besuchte Mazedoniens Staatschef Gjorge Ivanov das Gebiet an der Grenze zu Griechenland. Er wurde von seinen Kollegen aus Slowenien und Kroatien, Borut Pahor und Kolinda Grabar Kitarovic, begleitet. ap/dpa

Die zum Symbol gewordene Grenze in Idomeni soll mit aller Kraft geschlossen bleiben. Die Flüchtlinge aber haben das Recht, auf sich aufmerksam zu machen.

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Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

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