Kommentar Boris Johnson und Brexit: Over and out

Vor einem Jahr war er noch für den Verbleib in der EU. Londons Ex-Bürgermeister ist aus purem Opportunismus umgeschwenkt. Nun hat er den Salat.

Ein Mann guckt nachdenklich. An der Wand ist sein Schatten abgebildet. Es ist Boris Johnson.

Bedröppelt? Boris Johnson Foto: dpa

Wie ein Sieger sah er nicht aus. Dabei hatte Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson vor einer Woche den vermeintlich größten Coup seiner politischen Karriere gelandet: Großbritanniens Austritt aus der Europäischen Union und Premierminister David Camerons Rücktritt. Erschien aber nicht freudig überrascht, sondern entsetzt. Das Brexit-Votum hat seine Pläne zunichte gemacht.

Johnson, der voriges Jahr noch für den Verbleib in der EU war, ist aus Opportunismus umgeschwenkt. Er wollte dieses Referendum nicht gewinnen.

Sein Kalkül war, dass die Brexit-Befürworter knapp verlieren, woraufhin er als prinzipientreuer Held geglänzt und nach einem Jahr das Amt von Cameron übernommen hätte. Nun hat er den Salat, zumal Cameron ihm Plan B zunichte gemacht hat. Er hat seinem Nachfolger einen Giftbecher hinterlassen, indem er ihm die Austrittsverhandlungen mit der EU und allem, was damit zusammenhängt, aufgehalst hat – nicht zuletzt Schottlands bevorstehenden Austritt aus dem Vereinigten Königreich.

Von der dortigen Premierministerin Nicola Sturgeon könnte Johnson in Sachen Taktik viel lernen. Sie hat bereits Gespräche mit der EU über Schottlands EU-Mitgliedschaft aufgenommen.

Der vehemente Brexit-Verfechter Boris Johnson kandidiert nicht für das Amt des britischen Premierministers. Er habe entschieden, sich nicht zur Wahl zu stellen, kündigte der frühere Londoner Bürgermeister am Donnerstag überraschend an. Johnson war das Gesicht der Brexit-Kampagne und hatte maßgeblichen Anteil an ihrem Erfolg. (rtr/afp)

Johnsons Plan C wird ebenfalls nicht funktionieren. Wenn er glaubt, mit dem Brexit-Votum im Rücken eine bessere Verhandlungsposition gegenüber der EU zu haben, weitere Zugeständnisse herausholen und bei einem neuen Referendum für den Verbleib in der EU eintreten zu können, hat er sich abermals verrechnet. Ginge die EU darauf ein, könnte sie ihren Laden dichtmachen.

Cameron und Johnson sind beides Eton-Zöglinge und gehören der Elite an. Johnson hat es aber geschafft, diesen Makel, den viele Wähler darin sehen, abzuschütteln. Er hat den Konservatismus der Tories neu definiert als einen populistischen, ausländerfeindlichen Nationalismus. Darin hat er mit dem US-Möchtegernpräsidenten Donald Trump mehr gemein als nur die alberne Frisur.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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