Kommentar Brexit-Turbulenzen: Britischer Total-Egoismus

Die Briten agieren, als könnten sie alles haben: keine Einwanderer, keine Zahlungen, vollen Marktzugang. Das aber ist der Tod jeder Gemeinschaft.

Blick durch eine vom Regen benetzte Autoscheibe auf eine britische Fahne vor dem Schloss Bellevue

Wer nicht auf andere hört, steht am Ende im Regen Foto: dpa

Wenn es um den Brexit geht, kennt die britische Regierung nur ein Ziel: Sie will ihre Interessen durchsetzen. Das ist legitim. Aber es verstört, dass viele Briten offenbar nicht fähig sind, die eigenen Ziele zu erkennen. Dies führt zu einer bizarren Situation: Britischer Total-Egoismus wird bereits als ein Zugeständnis an die Europäische Union gewertet.

Premierministerin Theresa May hat ihre Regierung auf einen angeblich „weichen“ Brexit verpflichtet: Sie will ein Freihandelsabkommen, bei dem die EU-Standards gelten sollen. Diese neue Route ist aber kein Entgegenkommen an die Europäer, sondern zeugt von Pragmatismus.

Zumindest May hat eingesehen, dass das Umgekehrte unmöglich ist. Niemals werden 27 EU-Staaten brav die Handelsvorgaben der Briten übernehmen. Die Standards im Warenverkehr müssen aber weitgehend identisch sein, damit keine Zollschranken zwischen Großbritannien und Nordirland hochgehen.

Die Briten folgen also ihrem Interesse, wenn sie in der europäischen Zollunion bleiben. Doch viele Engländer verweigern diesen Realismus. Der „Deal“ sei ein „Scheißhaufen“, sagte Außenminister Boris Johnson und trat zurück. Er irrt doppelt: Von „Scheiße“ kann nicht die Rede sein – vor allem aber ist es gar kein Deal, den May angeboten hat. Verhandlungen setzen voraus, dass man zu Kompromissen bereit ist. Aber die Briten agieren noch immer, als könnten sie alles haben: keine Einwanderer, keine Zahlungen an die EU-Kasse – aber vollen Marktzugang.

Die Briten tun so, als seien Nettozahlungen eine Zumutung. Doch vom EU-Binnenmarkt profitieren die entwickelten Nationen; es ist daher nur fair, dass sie die schwachen Länder unterstützen. Die Briten hingegen folgen dem Motto: der Starke zuerst. Es wäre der Tod der Gemeinschaft, wenn sich dieser Ansatz durchsetzt. Die EU und Großbritannien müssten daher auf einen Deal zusteuern, der beiden entgegenkommt: Die Briten dürfen die Einwanderung untersagen, aber Marktzugang gibt es nur gegen Nettozahlungen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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