Kommentar CDU und AsylbewerberInnen: Bemerkenswert gestrig

Behörden schieben AsylbewerberInnen ab, die die Zukunft des Landes sein könnten. Das sagt viel aus über das konservative Deutschlandbild.

Zwei junge Männer in Arbeitsoveralls erfassen im Vertriebszentrum Brandenburg der Volkswagen OTLG eingehende Ware.

Agham Almawlawi (l.) und Mohamad Feras Almaoubwi aus Syrien sind ab Herbst Lehrlinge bei VW Foto: dpa

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther ist aufgefallen, dass es schlau sein könnte, gut integrierten, aber abgelehnten AsylbewerberInnen eine Zukunft in Deutschland zu ermöglichen. Man möchte dem CDU-Mann zurufen: Herzlichen Glückwunsch, willkommen in der Realität.

Eine solche Reform, auch „Spurwechsel“ genannt, ist überfällig. Dass ­Merkels CDU sie bis heute blockiert, zeigt, wie bemerkenswert gestrig die Regierungspartei ticken kann. Immer wieder schieben Behörden ­AsylbewerberInnen ab, die die Zukunft des Landes sein könnten: Sie sprechen gut Deutsch, haben einen Job, engagieren sich im Fußballverein. Aber, und das ist ihr Pech, sie haben kein Recht auf Asyl.

Diese Abschiebungen, die oft erst nach Jahren erfolgreicher Integration verkündet werden, sorgen regelmäßig für Empörung. ArbeitskollegInnen solidarisieren sich, ChefInnen loben ihre MitarbeiterInnen, NachbarInnen schrei­ben wütende Briefe an die Lokalzeitung. Der humanitäre und ökonomische Schaden ist enorm.

Der Vorschlag aus den Reihen der CDU, Asylbewerbern einen "Spurwechsel" in ein Zuwanderungsverfahren zu ermöglichen, findet bei Gewerkschaften, Flüchtlingshelfern und Politikern Zustimmung, Widerstand hingegen kommt von der CSU. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Holger Stahlknecht (CDU), sagte, der "Spurwechsel" könne helfen, den Fachkräftemangel zu beheben. Er kündigte an, das Thema auf die Tagesordnung der nächsten Innenministerkonferenz im Herbst zu setzen. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte hingegen, abgelehnten Asylbewerbern den Zugang zu erleichtern, könne Deutschland attraktiver für illegale Zuwanderung machen. Sonderregelungen könne er sich nur für dringend benötigte Pflegekräfte vorstellen.

Der Missstand ließe sich leicht beheben. Es bräuchte eine Regelung, die es AsylbewerberInnen erlaubt, aus dem Asylrecht in ein Zuwanderungsrecht zu wechseln – eben einen Spurwechsel. Nicht mehr die Schutzbedürftigkeit wäre dann entscheidend, sondern der Nutzen für den Arbeitsmarkt.

Die SPD wäre dabei, FDP, Grüne und Linke auch. Ein solches Gesetz wäre in mehrfacher Hinsicht ein Fortschritt. Es würde Menschen belohnen, die sich anstrengen. Es wäre eine Maßnahme, um den demografischen Wandel abzufedern. Auch die Wirtschaft wäre glücklich. Schließlich klagen Firmen seit ­Jahren, dass es ihnen an Auszubildenden fehlt.

Leider ist es unwahrscheinlich, dass Günther sich in der Union durchsetzen wird. Die Konservativen haben sich zu lange an die Illusion geklammert, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, als dass sie zu beherztem Pragmatismus fähig wären. Und das ist wirklich eine traurige Nachricht.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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