Kommentar Deutschtürken: Tendenz zum Rückzug

Politik und Wirtschaft in Deutschland kann es kaum recht sein, wenn gerade die dritte Generation der Deutschtürken an Auswanderung denkt.

Viel Neues hat die Studie über Deutsch-Türken nicht zu Tage gebracht. Überraschen kann es auch nicht, dass gerade viele Deutsch-Türken auf Distanz zu Deutschland gehen. Nach den vielen Zumutungen der letzten Jahre, von den unsäglichen Islamdebatten über Sarrazin bis hin zu den Morden der NSU ist es wenig erstaunlich, dass sich bei jungen Deutschtürken die Tendenzen zum Rückzug in die eigene Gruppe und zu einem trotzigen Bekenntnis zur eigenen Religion verstärkt haben.

Übergehen muss man konservative Einstellungen zur Homosexualität oder die Ablehnung von Atheisten und Juden damit noch lange nicht. Und wo solche Einstellungen ihrerseits zu diskriminierendem Verhalten führen, auf der Straße oder auf dem Schulhof, muss man ihnen entschieden entgegen treten. Aber es wäre falsch, diese Studie zum Anlass zu nehmen, um mal wieder die Integrationsfähigkeit der größten Migrantengruppe in Frage zu stellen, dafür sind die Ergebnisse im Detail auch zu widersprüchlich.

Deutschland muss sich vielmehr fragen, wo es selbst bei der Integration versagt, denn auch davon zeichnet die Studie ein beredtes Bild. Anders gesagt: Es muss den Kampf gegen Diskriminierungen jeder Art endlich ernster nehmen.

Erst vor zwei Wochen hat eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gezeigt, dass sich viele türkischstämmige Bürger, aber auch Zuwanderer aus Afrika, Asien und Lateinamerika auf dem Arbeitsmarkt, in den Behörden und im Bildungsbereich nach wie vor benachteiligt sehen. Dass junge Deutschtürken darauf reagieren, indem sie die Türkei verklären oder mit dem Gedanken spielen, aus Deutschland wegzugehen, ist evident. Entgegen kommt ihnen dabei, dass die Türkei derzeit einen beispiellosen Wirtschaftsboom erlebt, der das Land als Alternative attraktiv macht.

Politik und Wirtschaft in Deutschland kann es allerdings kaum recht sein, wenn sich gerade die zweite und dritte Generation, die hierzulande ausgebildet wurde, mit Auswanderungsgedanken trägt. Sie sollten deshalb etwas dagegen tun, um einer weiteren Entfremdung entgegen treten. So lange die Bundesregierung aber zum Beispiel der Meinung ist, dass der deutsche Pass erst „am Ende einer gelungenen Integration“ stehen kann, darf sie sich über eine fehlende Identifikation vieler Migranten mit diesem Land nicht wunder.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Daniel Bax ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz. Er schreibt über Innen- und Außenpolitik in Deutschland, über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 veröffentlichte er das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.