Kommentar Flüchtlingspolitik: Unerreichbares Europa

Flüchtlinge im Mittelmeer abfangen und in Nordafrika internieren: So wird Völkerrecht gebrochen und niemandem geholfen.

Dass Flüchtlinge den Boden der EU überhaupt betreten, wie hier auf Sizilien, soll verhindert werden. Bild: dpa

Viel ist jetzt von sicheren und unsicheren Transportmitteln die Rede. Das untere Ende der Risikoskala markieren zweifellos die Flüchtlingsboote zwischen Italien und Libyen. Von 40 Menschen, die hier starteten, starb letztes Jahr durchschnittlich einer – das sind über 100.000-mal mehr als im Luftverkehr.

Und viel ist gerade die Rede davon, was man da tun kann. Die einen kaufen ein kleines Schiff, um Frontex auf die Finger zu schauen, und werden dafür schon gefeiert, bevor sie überhaupt in See gestochen sind – so sehr kollidiert das alltäglich gewordene, aber vermeidbare Sterben vor Europas Haustür mit dem Moralempfinden vieler, die sich dabei nur noch ohnmächtig fühlen.

Die Mächtigeren haben andere Vorschläge: Immer mehr Innenminister schlagen vor, Europas Flüchtlingsproblem Afrika aufzuhalsen. Die Idee von Bundesinnenminister De Maizière, die Asylverfahren in Lagern in den Transitstaaten abzuwickeln, ist auf dem Tisch.

Dazu passt, was das restlos entnervte, weil mit dem Flüchtlingsproblem konsequent im Stich gelassene Italien vorschlägt: Wenn Europa schon Rom nicht dafür entschädige, dass es die Flüchtlinge zu Zehntausenden aus dem Wasser gezogen hat – dann könne es doch Ägypten und Tunesien dafür bezahlen, die Flüchtlingsschiffe einzufangen und nach Nordafrika zurückzuholen. Dass das völkerrechtliche Zurückweisungsverbot gekippt wird, stört in der EU offenbar niemand.

Das Grund dafür ist: Beide Vorschläge kommen auf dasselbe raus – für die Flüchtlinge ist im Transit Schluss, Europa unerreichbar. Wer das angesichts der Rekordflüchtlingszahlen für geboten hält, hat die Statistik nicht verstanden: Die echten Flüchtlingsrekorde werden immernoch außerhalb Europas aufgestellt. Wie es aussieht, wird das auch so bleiben.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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