Kommentar Folter saudischen Bloggers: Und nun zum Staatsterrorismus

Das arabische Terrorverständnis ist ein etwas anderes als das europäische. Aber Europa hat keinen Grund zur Selbstzufriedenheit.

Der saudische Auspeitscher ist einer der wichtigsten Partner im internationalen Antiterrorkampf. Protestaktion der Gruppe CodePink in Washington D.C. Bild: imagp/UPI Photo

Arabiens repressive autokratische Regime vermarkten sich wieder einmal als die Verteidiger der Religion. In Saudi-Arabien wird Raif Badawi, ein liberaler Blogger und dezidierter Kritiker des erzkonservativen religiösen Establishments, jetzt jeden Freitag auf mittelalterliche Weise brutal ausgepeitscht. In Ägypten wurde am Montag der der Beleidigung der Religion angeklagte 21-jährige Student Karim al-Banna zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, weil er sich in den sozialen Medien als Atheist geoutet hatte.

Den Regimen sitzt die radikale islamistische Konkurrenz im Nacken. Ägyptens Staatschef und Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi muss beweisen, dass er nach dem Ausschalten der Muslimbruderschaft und im täglichen Kampf gegen militante islamistische Gruppen nicht die religiöse Hoheit verliert.

Die erzkonservativen saudischen Herrscher haben Angst, dass ihre religiösen Hardliner zur ideologisch nicht allzu weit entfernten radikaleren Konkurrenz des „Islamischen Staates“ überlaufen. Mit ein paar der Blasphemie angeklagten Bauernopfern versuchen die Regime nun das Feld der „Verteidigung der Religion“ zu besetzen. Das ist kein orientalischer Effekt und in der europäischen Politik vergleichbar mit konservativen Parteien, die versuchen, mit einer okzidentalen Themensetzung in der rechtsradikalen Ecke zu fischen.

Das Paradoxe dabei: In ihrem Eifer, den konservativen Gesellschaften ihre islamische Identität zu beweisen, machen die arabischen Regime eine islamistische Politik, die dem IS in vieler Hinsicht zur Ehre gereicht. Nach dem Motto: Wer sperrt mehr „Blasphemiker und Abtrünnige“ ein, wer foltert schlimmer? Interessanterweise ist im neuen saudischen Antiterrorgesetz nicht nur das Vergehen aufgelistet, in den Dschihad nach Syrien oder den Irak zu ziehen. Auch wer „die Fundamente der islamischen Religion infrage stellt, auf denen das Land basiert“, ist nach saudischer Definition ein Terrorist.

Das ist ein etwas anderes Terrorverständnis als das europäische. Aber Europa hat keinen Grund zur Selbstzufriedenheit. Denn der saudische Auspeitscher ist einer der wichtigsten Partner im internationalen Antiterrorkampf gegen den IS und gegen al-Qaida. Und schon hat die Realpolitik dem europäischen Charlie-Hochgefühl einen Strich durch die Rechnung gemacht.

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